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“Wir stellen Energie falsch her“

Der Club of Rome hat schon Anfang der 1970er-Jahre davor gewarnt, dass das wirtschaftliche Wachstum die natürlichen Ressourcen überstrapaziert. Seitdem hat er sich immer wieder für Umweltschutz und Nachhaltigkeit eingesetzt. Warum eigentlich?

Max Schön: Hans Carl von Carlowitz hat vor 300 Jahren erkannt, dass man im Wald nur so viel Holz einschlagen darf, wie nachwächst. Dies war die erste Definition der Nachhaltigkeit in Deutschland und eine wichtige Erkenntnis, weil Holz als Brennmaterial und Baustoff ein begehrtes und lebensnotwendiges Gut war. Im Jahr 1968 kamen in Rom Wissenschaftler zusammen, die vor der Nutzung der Atomkraft warnten. Sie wollten die natürlichen Systeme in der Balance halten, anders als die Technologiegläubigen. 1972 resultierte aus diesen Erkenntnissen das bekannte Buch „Die Grenzen des Wachstums“, das weltweit eine Auflage von 30 Millionen Exemplaren erreichte.

Wie ist die deutsche Gesellschaft des Club of Rome organisiert?

Wir vereinen 40 Wissenschaftler und Unternehmer, Sitz der Gesellschaft ist in Hamburg.

Mittlerweile ist eingetreten, was der Club of Rome vor mehr als 40 Jahren prophezeit hat. Wie stellt sich die Situation für Sie dar?

Einfach gesagt kommen rund 50 Prozent des Klimaproblems daher, dass wir unsere Energie falsch herstellen, und gut 20 Prozent durch unseren falschen Umgang mit den Wäldern, zum Beispiel durch Abholzung und Monokulturen. Wenn also die Energie und das Waldsterben mehr als zwei Drittel unseres Klimaproblems ausmachen, dann lohnt es sich, dass wir uns darauf konzentrieren.

Welche Vorschläge haben Sie konkret?

Wir müssen unseren Umgang mit Energie jetzt ändern. Jeder Deutsche produziert pro Jahr durchschnittlich 9,5 Tonnen Kohlendioxid. Zum Vergleich: Ein Inder verursacht weniger als eine Tonne. Nehmen wir an, dass wir zum Beispiel ein Kohlekraftwerk in Indien durch Photovoltaikanlagen ersetzen. Dann könnten wir die Mehrkosten auf die eingesparte Menge an Kohlendioxid umlegen, um die Emissionen hier in Deutschland zu kompensieren. Diese Kompensation von 9,5 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr kostet einen Endverbraucher gerade mal 219 Euro. Das ist weniger als ein Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens in Deutschland. Oder anders gesagt: Um das Klimaziel einer maximalen Erwärmung um zwei Grad Celsius zu erreichen, müssten wir lediglich jedes Jahr rund ein Prozent unseres Geldes anders ausgeben. Das zeigt, dass das Klimaproblem lösbar ist, dass der Wandel durchaus machbar ist.

Damit setzen Sie den entsprechenden politischen Willen voraus …

Sicher. Das hat viel mit Freiheit zu tun. Wir Europäer können entscheiden, ob wir Förster oder Ingenieur werden, ob wir weiter Heizöl verbrennen oder regenerativ heizen. Die Ärmsten dieser Welt können das nicht. Wir entscheiden durch unser Verhalten täglich über ihr Leben mit. Aufgrund der von Menschen gemachten Umweltveränderungen steigt die Zahl der Flüchtlinge seit 15 Jahren dramatisch an. Die politischen und militärischen Konflikte resultieren überwiegend aus dem Mangel an Energie und Wasser, aus einem Mangel an fruchtbarem Land und Nahrung. Global erleben wir massenhaft Konflikte im Kampf um diese existenziellen Ressourcen.

Hat der Klimawandel nicht auch Folgen für uns, hier in Mitteleuropa?

Ja, natürlich. Erinnern wir uns an das verheerende Hochwasser in Thailand im Jahr 2011. Was die wenigsten Menschen wissen: Rund die Hälfte der weltweit benötigten Festplatten für Computer wurde damals im Überschwemmungsgebiet produziert. Aufgrund der Fluten kam es über Monate hinweg zu Lieferengpässen. Autohersteller hatten Probleme, ihre Produktionsstätten dort überhaupt noch versichern zu können, weil den Assekuranzen das Risiko zu groß wurde. In Deutschland hatten wir an der Elbe drei Jahrhunderthochwasser in nur einem Jahrzehnt. Daraus resultierten Milliardenschäden an der Infrastruktur wie Autobahnen oder Bahngleisen, die jahrelang finanziert werden müssen, wenn das Hochwasser längst weg ist.

Kennen Sie konkrete Zahlen über die Auswirkungen solcher Extreme?

Experten sagen, dass solche Aufwendungen künftig bis zu 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts einer Volkswirtschaft ausmachen werden. Um das zu verhindern, würde es reichen, wenn wir heute global ein Prozent des jährlichen Weltsozialproduktes für die Vorsorge ausgeben würden. Nachhaltiges Wirtschaften sollte uns diese Summe wert sein. So könnten wir eine gefährliche Klimaerwärmung um mehr als zwei Grad vermeiden.

Was schlagen Sie also konkret vor?

Sanieren Sie Ihre Heizung, um die Emissionen zu reduzieren – auch wenn sich das nicht sofort rechnet. Nutzen Sie mehr Fahrrad und Bahn statt Flugzeug und Auto – auch wenn das nicht so bequem sein mag. Produzieren oder kaufen Sie Ökostrom. Essen Sie regionale Produkte und weniger Fleisch. Wir sind wohlhabende und gebildete Bürger. Deshalb haben wir auch eine größere Verantwortung für diese Welt als andere.

Woher nehmen Sie Ihren Optimismus, dass die ökologische Wende gelingen kann?

Wenn die Bevölkerung in Afrika bis 2050 um 30 Prozent wächst, braucht der Kontinent ein materielles Wachstum von 40 bis 50 Prozent, um seine Bedürfnisse nach Nahrung, Wasser, Energie, Häusern, Mobilität und Kommunikation befriedigen zu können. Die Entwicklungsländer gewinnen wertvolle Zeit, indem sie manche Entwicklungsstufen überspringen, die die alten Industrienationen durchlaufen haben: Regenerative Technologien und Speichersysteme erlauben dezentrale Strukturen. Wegen der Handys brauchen die Länder keine teuren Telefonleitungen und kein flächendeckendes Filialnetz von Banken. Das Internet macht die lokalen Märkte transparent, sodass Bedarfe gesteuert und Preisvorteile vielerorts genutzt werden können.

Was können wir hierzulande tun?

Wir sind das Land der Ingenieure. Die Probleme, die wir uns teilweise durch technischen Fortschritt eingehandelt haben, können wir durch cleveres und ganzheitliches Engineering lösen. Ein Beispiel: Mit Einführung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes vor 20 Jahren haben wir es bis heute geschafft, über alle Bereiche hinweg eine Recyclingquote von 50 Prozent zu erzielen. Wer sollte uns aufhalten, diese Quote in den nächsten 20 Jahren auf 70 oder 80 Prozent zu steigern? Das ist eine Frage des politischen Willens, wofür wir unsere Energie und Intelligenz zukünftig einsetzen. Wir schaffen es auch, beispielsweise mithilfe der Photovoltaik, unser Wirtschaftswachstum von den Emissionen zu entkoppeln. Ulrich von Weizsäcker belegt in seinem Buch „Faktor Fünf“ die These, dass 20 Prozent unseres Einsatzes von Energie und Ressourcen ausreichen, um den Wohlstand zu erhalten. Dafür müsste man nur konsequent alle Glühbirnen durch LED-Leuchten ersetzen, sparsamer heizen oder cleverer bauen.

Wie wird oder muss sich die Welt verändern?

Wenn wir gut auf diesem Globus weiterleben wollen, haben wir gar keine Alternative, als jetzt das Richtige zu tun. Viel zu lange haben wir uns in unserem Pessimismus und Fatalismus eingerichtet. Die künftigen Megastädte werden in die Höhe wachsen, um platzsparend zu bauen und die Wege kurz zu halten. Ihre Fassaden werden für Solarstrom genutzt. Das ist alles technisch kein Problem. Die meisten Häuser sind heute noch Energieverbraucher, doch die Immobilie der Zukunft wird ein Energielieferant sein, der Energieüberschüsse für das Auto oder das kommunale Netz liefert. Die Schwierigkeiten liegen in den politischen Entscheidungsprozessen und in unserem Verhalten. Beides müssen wir ändern.

Das Gespräch führte Leonhard Fromm.

www.clubofrome.de

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