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Weckruf nach Berlin

Franz Untersteller mochte nicht um den heißen Brei herumreden. „Der Photovoltaikbranche im Land geht es derzeit nicht gut“, konstatierte der grüne Umweltminister des Landes Baden-Württemberg. „Das lässt sich nicht schönreden. Umso wichtiger ist es, dass das EEG korrigiert wird.“ Zumindest der Degressionsmechanismus und die Regelung zur Eigenverbrauchsbeteiligung müssten angepasst werden, um die festgelegten Ausbauziele zu erreichen.

Mit dieser Forderung an die Adresse von Bundeswirtschaftsminister Gabriel fand sich Untersteller auf dem ersten Solarbranchentag Baden-Württemberg Anfang November in Stuttgart in guter Gesellschaft. Fast alle Branchenvertreter waren sich einig: Die nächste Novellierung des EEG muss mehr als nur nachjustieren. Die Politik müsse wieder Rahmenbedingungen schaffen, die der Nachfrage in Deutschland neuen Schwung geben, lautete der Tenor.

Schlüsseltechnologie für Jahrzehnte

Dabei gehe es um weit mehr als nur die Binnennachfrage, erklärte Dieter Manz, Vorstandsvorsitzender des Maschinenbauers Manz AG und Vorsitzender des Solar Cluster BW, des Veranstalters des Branchentags. „Es geht um die weltweite Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in einer Schlüsseltechnologie für die nächsten Jahrzehnte“, resümierte er. „Wir haben viel Geld und Know-how in die Entwicklung der Photovoltaiksysteme investiert und mit dieser Pionierarbeit die Grundlagen für einen globalen Megatrend gelegt. Jetzt laufen wir Gefahr, den Anschluss zu verlieren.“

Und er unterstrich dies mit Zahlen. Die globale Photovoltaikbranche wachse seit rund 20 Jahren um durchschnittlich 50 Prozent jährlich. „Photovoltaik lohnt sich längst auch ohne Förderung.“ Weltweit würden im Jahr 2015 Anlagen mit einer Gesamtleistung von rund 55 Gigawatt installiert, im Jahr 2020 wahrscheinlich mehr als 100 Gigawatt. „Das globale Potenzial ist riesig. Der Markt entwickelt sich rasant, nur nicht bei uns. Wenn wir jetzt aussteigen, ist das Wahnsinn.“

Um aber an diesem boomenden Markt dauerhaft zu partizipieren, „brauchen wir einen vitalen Heimatmarkt. Wie wollen wir unsere Maschinen an Investoren im Ausland verkaufen, wenn wir sie selbst nicht einsetzen?“ Die Manz AG hat in Deutschland die letzte Maschine im Jahr 2010 verkauft.

Noch wird laut Dieter Manz etwa jedes zweite Solarmodul weltweit auf deutschen Maschinen hergestellt. „Die Zusammenarbeit zwischen Zell- und Modulherstellern, Forschungseinrichtungen und den Maschinenbauern war ein weltweit einzigartiges Erfolgsmodell.“

Bauen die Chinesen ihre Werke selbst?

Er warnte: „Wenn aber die Produktion als Element der Wertschöpfungskette fehlt, dann wird sich das rächen.“ Spätestens Ende 2016 müssten weltweit neue Produktionsstätten gebaut werden. „Die Frage ist: Sind wir dabei, oder bauen die Chinesen ihre Fabriken selbst?“

Er hoffe sehr, „dass wir nicht die gleichen Fehler bei den Speichern machen. „Wir reden zurzeit über Speicher nur mit Chinesen und Amerikanern. Das kann nicht gutgehen.“

Die Rahmenbedingungen in Deutschland müssten dringend verbessert werden. „Und wir müssen uns trauen, industriepolitische Maßnahmen zu ergreifen.“

Die damit in den Raum gestellte Option von Schutzzöllen oder anderen Abschottungsmechanismen hingegen ist nach den Worten von Matthias Machnig, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, wenig hilfreich. „Wir brauchen faire Wettbewerbsbedingungen mit China. Wir müssen erreichen, dass sie sich WTO-konform verhalten, das ist klar. Aber dass wir als eine der größten Exportnationen Handelsbeschränkungen welcher Art auch immer beschließen, ist kontraproduktiv.“

Enormes Potenzial für Innovationen

Der globale Energiemarkt befinde sich am Beginn eines massiven Umbruchs. Und Deutschland stehe nach wie vor an der Spitze der Entwicklung. „Energie aus herkömmlichen Quellen wird immer teurer, die aus erneuerbaren Quellen immer günstiger. Künftig wird der Standort am besten im Wettbewerb bestehen, der effizient mit Energie und Ressourcen umgeht.“

Im Übrigen sei klimaverträgliches Wirtschaften schon heute ein Wettbewerbsvorteil. Deutschland könne doppelt profitieren, „indem wir uns zugleich auch von den Energiemärkten entkoppeln.“

Inzwischen sei die Frage nicht mehr, wie sich die erneuerbaren Energien in die alten Systeme integrieren ließen. Machnig sagte: „Heute ist unser Thema, wie wir die fossilen Energieträger in die Erneuerbaren integrieren.“ In den kommenden Jahren werde es darum gehen, „wie wir intelligente Verteilstrukturen und intelligentes Lastverhalten hinbekommen. Dabei sind Speichertechnologien der Missing Link, den wir entwickeln und integrieren müssen.“

Die erneuerbaren Energien, allen voran Photovoltaik und Windkraft, böten einen hervorragenden Nährboden für neue Geschäftsmodelle. „Ich sehe hier ein enormes Potenzial. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, dass diese Technologien sich als Wachstums- und Innovationstreiber etablieren.“

Die Energiewende sei im Übrigen kein Thema für nationale Lösungen. Erforderlich sei ein EU-Binnenmarkt mit einem klaren EU-Rahmen. „Die Energiewende und die Versorgungssicherheit müssen europaweit gedacht werden. Sie brauchen Innovationen, Investitionen in die Netze, neue Geschäftsmodelle, eine industriepolitische Strategie und eine noch bessere Vernetzung der Akteure.“

Joachim Goldbeck, Geschäftsführer von Goldbeck Solar und Vorsitzender des Bundesverbandes Solarwirtschaft, wies darauf hin, dass in der Energiewende drei Bereiche getrennt voneinander betrachtet werden sollten: Industrie-, Energie- und Umweltpolitik. „Industriepolitisch muss das Ziel sein, dass die deutsche Solartechnologie weltweit wettbewerbsfähig ist und bleibt“, forderte er. „Energiepolitisch geht es um Versorgungssicherheit und Effizienz und – als neues Unterziel – die Transformation von zentralen zu dezentralen Versorgungsstrukturen. Die weiteren Ziele sind Bewahrung unserer Umwelt und Klimaschutz.“

Energiepolitik? Fehlanzeige!

Was die umweltpolitischen Ziele angehe, sei man auf einem guten Weg. Industriepolitisch allerdings sei in den zurückliegenden Jahren wenig erreicht worden. Goldbeck wurde deutlich: „Und energiepolitisch wurden weder irgendwelche Ziele gesteckt noch erreicht.“ Die Folge: Die Photovoltaik in Deutschland sei in einem Wust von Gesetzen und Verordnungen gefangen.

„Die Kosten für Solarstrom sind seit den Anfängen um 80 Prozent gesunken“, rechnete er vor. „Die Gestehungskosten für Photovoltaikstrom sind bei Vollkostenrechnung schon jetzt günstiger als Strom aus Gaskraftwerken. Dieses Modell wird heute weltweit genutzt, nur nicht in Deutschland.“ Hier sei die Politik gefragt. Sie müsse die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen unterstützen, sagte Goldbeck.

Vieles lief falsch

Vieles sei falsch gelaufen mit der Energiewende. So könne es nicht sein, dass ein Unternehmer, der 100.000 Euro in die Hand nimmt, um mittels Eigenverbrauch 15.000 Euro im Jahr zu sparen, mit 2.400 Euro Abgaben belastet werde. Wer aber die gleichen Mittel in LED-Beleuchtung steckt und ähnliche Einsparpotenziale erzielt, müsse keinerlei Abgabe bezahlen. Joachim Goldbeck forderte für die anstehende EEG-Novelle:

  • Keine Ausschreibungen für Dachanlagen,
  • keine Schlechterstellung von Mieterstrommodellen gegenüber Eigenverbrauch,
  • die Handelszölle überprüfen,
  • offenes Bekenntnis der Politik, dass Photovoltaik nach wie vor gewünscht ist,
  • Verlängerung der Speicherförderung,
  • Strom, der gespeichert wird, darf nicht mit Umlagen belastet werden,
  • Kleinverbraucher müssen am Strommarkt teilnehmen können,
  • Rohstoffe sollten dort, wo sie aus der Erde geholt werden, mit Umlagen belastet werden.

Zumindest mit der Speicherförderung ist der BSW-Solar bereits gescheitert. Denn wenige Tage nach der Veranstaltung in Stuttgart lehnte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) die Fortsetzung des KfW-Programms ab.

Angesichts dieser sturen Haltung in Berlin sind die Bundesländer gefragt. Bei der vergangenen Novelle des EEG haben sie seltsamerweise die Füße stillgehalten, auch und vor allem bei der Sonnensteuer auf den Eigenverbrauch. Immerhin hat Nordrhein-Westfalen eine eigene Speicherförderung angekündigt.

So weit wollte Umweltminister Franz Untersteller Anfang November in Stuttgart noch nicht gehen. Immerhin: Dass Photovoltaik heutzutage nicht mehr der Treiber der EEG-Umlage sei, „das muss öffentlich gesagt werden – auch in Berlin“, resümierte er. Und er teilte die Einschätzung, dass es um weitreichende Folgen für die Industriestandorte in Deutschland geht. „Die Frage ist doch, wie es uns gelingt, am anhaltenden globalen Boom der Photovoltaik wieder teilzuhaben, oder ob wir das Feld anderen überlassen, zum Beispiel den Chinesen.“

Solar Cluster Baden-Württemberg

Thesen zur Solarenergie im Ländle 2020

Auf dem Branchentag hat der Solar Cluster Baden-Württemberg einige Thesen auf den Tisch gelegt, um die notwendigen Maßnahmen der Politik zu flankieren:

  • Photovoltaik ist ein zentrales Element einer künftigen globalen Energieversorgung und die Voraussetzung für einen wirksamen Klimaschutz.
  • Photovoltaik ist ein globaler Megatrend: Bis zum Jahr 2020 wird ein Weltmarktvolumen von mindestens 100 Gigawatt erwartet. Dies entspricht einem Umsatz von rund 110 Milliarden Euro allein für die Solarmodule sowie zusätzlich in etwa dieselbe Größenordnung für Wechselrichter, Unterkonstruktion, Kabel und Installation.
  • Die Märkte wachsen vor allem außerhalb Europas: Bis zum Jahr 2012 war Europa der größte Markt weltweit mit einem Marktanteil von 59 Prozent. Im Jahr 2013 ging der europäische Weltmarktanteil auf 29 Prozent zurück. Heute sind China, Japan und die USA die dynamischsten Photovoltaikmärkte weltweit. In vielen dieser wachsenden Märkte ist Photovoltaik mittlerweile Kostenführer.
  • Photovoltaik in Deutschland lohnt sich: Die Stromkosten aus Photovoltaik liegen bei Großanlagen auch in Deutschland bereits auf oder unter dem Niveau neuer fossiler Großkraftwerke. Lokal selbst erzeugter Strom aus Photovoltaik ist in fast allen privaten wie gewerblichen Anwendungen deutlich günstiger als der Netzbezug. Dadurch entwickelt sich der Eigenverbrauch zu einem wesentlichen Geschäftsmodell.
  • Die Energieversorgung ist strategisch relevant und sollte Abhängigkeiten vermeiden helfen: Derzeit importiert Deutschland fossile Brennstoffe im Wert von fast 100 Milliarden Euro pro Jahr. Erneuerbare Energien bieten die Chance, diese historischen Abhängigkeiten aufzulösen.
  • Große Teile der baden-württembergischen Solarbranche sind nach wie vor gut aufgestellt, um an der dynamischen Entwicklung teilzuhaben.
  • Deutsche Hersteller können international wettbewerbsfähig hochwertige Photovoltaikkomponenten (Silizium, Wafer, Solarzellen, Module, Wechselrichter, Aufständerungen) produzieren. Die Politik sollte die Rahmenbedingungen so setzen, dass sich diese Produktion halten beziehungsweise weiterentwickeln kann.
  • Heute werden rund 50 Prozent der weltweit produzierten Solarmodule auf deutschen und etwa die Hälfte davon auf baden-württembergischen Maschinen hergestellt. Diese Marktposition gilt es zu halten und auszubauen.
  • Die Integration dezentraler und fluktuierender erneuerbarer Energien gewinnt weltweit an Bedeutung. Deutsche Unternehmen haben langjährige Erfahrung in den Integrationsfragen; dieses Know-how sollte gestärkt und die internationale Verbreitung unterstützt werden.
  • Um Arbeitsplätze und Wertschöpfung in Baden-Württemberg und Deutschland zu halten und zu schaffen, muss der politische Rahmen weiterentwickelt werden.
  • Die aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen in Deutschland verhindern den weiteren Ausbau der Photovoltaik und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Denn:
  • Das Image der Photovoltaik hat massiv gelitten, sie wird in der Öffentlichkeit zu Unrecht als Kostentreiber angesehen.
  • Ständig sich ändernde politische Rahmenbedingungen verunsichern Investoren und Bürger gleichermaßen und verhindern Investitionen. Das gilt vor allem für die Belastung des Eigenverbrauchs mit der EEG-Umlage.
  • Die Projektierung von Photovoltaikanlagen wird durch zahlreiche Gesetze und Vorschriften immer komplexer. Dies hält insbesondere ehrenamtlich getragene Marktteilnehmer und kleine Unternehmen zurück.
  • Unterscheidung zwischen Direktlieferung (volle EEG-Umlage) und Eigenverbrauch (30 bis 40 Prozent EEG-Umlage).
  • Das öffentliche Haushaltsrecht benachteiligt in vielen Fällen eine Einsparung gegenüber einer einmaligen Investition.
  • www.solarcluster-bw.de

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