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Stresstest für den Service

Im März 2022 erlebte der Leipziger Speicherhersteller Senec einen Albtraum: Bei Heimspeichern unterschiedlicher Generationen kam es innerhalb weniger Tage zu drei Verpuffungen, bei denen Einfamilienhäuser beschädigt wurden. „Trotz intensiver Analysen und Austausch mit externen Experten und Sachverständigen konnte uns zuerst niemand die Ursache erklären“, erinnert sich Marco Augustin.

Der Chef des Engineerings bei Senec gründete unmittelbar nach den Vorfällen eine Expertengruppe. „Alle Fachleute waren der Meinung, solche Vorfälle können eigentlich nicht passieren. Und wenn, dann nicht drei Mal in Folge.“

Vorsorglich abgeschaltet

Aufgrund der Ungewissheit über die exakte Ursache entschieden die Geschäftsführer Aurélie Alemany und Thomas Augat in der Nacht vom 7. auf den 8. März 2022: Die Heimspeicher vom Typ Senec Home werden vorsorglich aus der Ferne abgeschaltet. „Das war sicherlich eine unpopuläre Entscheidung“, berichtet Aurélie Alemany. „Aber wir waren uns einig, dass wir beim Thema Sicherheit keine Kompromisse eingehen.“

Am folgenden Vormittag erfuhren viele Tausend Senec-Kunden via E-Mail, dass ihr Speicher nun einer Prüfung unterzogen und dafür abgeschaltet werde. Die Erzeugung von Solarstrom blieb den Kunden trotz Fernabschaltung durchgängig möglich. Nicht betroffen waren Direktverbrauch, Nutzung des Stroms in der Cloud zum Laden von E-Autos oder die Einspeisung gegen Vergütung ins Stromnetz. Aber die Kunden konnten ihren Speicher nicht nutzen.

Aus Kulanz 25 Euro pro Woche

Daher entschloss sich die Geschäftsleitung, Kulanzzahlungen von 25 Euro pro Speicher und Woche Fernabschaltung zu gewähren. Dieser freiwillig für alle Kunden bereitgestellte und kommunizierte Kulanzbetrag federte ab Tag eins fair und transparent die Einschränkungen der Speichernutzung ab. Thomas Augat, kaufmännischer Geschäftsführer, erläutert: „Wir wollten dieses Signal an unsere Endkunden senden: Wir lassen euch nicht im Regen stehen.“

Völlig unauffällig im Betrieb

Um der Ursache der Vorfälle auf den Grund zu gehen, wurden unter anderem Experten von Accure aus Aachen hinzugezogen. Schrittweise wurden Hypothesen aufgestellt, geprüft und verworfen. So lange, bis nicht nur die Ursachen gefunden wurden, sondern auch eine Lösung. Binnen weniger Wochen konnten die Speicher wieder sicher in Betrieb genommen werden.

Schnell war den Experten klar, dass es kein grundsätzliches Problem mit den Systemen gab. Unklar war, welche Systeme genau betroffen waren. Was die Suche noch schwieriger machte: Die Systeme, die an den Vorfällen beteiligt waren, hatten bis zum jeweiligen Vorfall völlig unverdächtig ihren Dienst getan. Nichts wies darauf hin, dass diese drei Systeme zu solchen Ereignissen führen würden.

Zwei Säulen einer schnellen Lösung

Die Schwierigkeit lag nun darin, weitere potenziell betroffene Systeme zu finden, ohne diese vor Ort zu deinstallieren, in ein Labor zu bringen und dort zu prüfen. Ein solches Vorgehen hätte mehrere Jahre gedauert. Das heißt, es musste eine mindestens genauso verlässliche, aber viel schnellere Lösung gefunden werden.

Hier konnte sich Senec auf zwei Komponenten stützen: Zum einen war die überwiegende Mehrheit der Speicher über das Internet und die Software zur Fernwartung erreichbar. Der Besuch durch einen Techniker war damit meist nicht notwendig. Zum anderen stand ein KI-System von Accure bereit, um den Großteil der Analysen zu übernehmen. Im Zusammenspiel wurde die Überprüfung in Rekordzeit erledigt. Neben der Ursachenforschung und Erarbeitung einer Lösung für die Wiederinbetriebnahme konzentrierte sich das Senec-Team darauf, dass die Speicher trotz Fernabschaltung nicht zu tief entluden.

Denn Tiefentladung hätte zu weiteren Schäden an den Speichern führen können – dies galt es unbedingt zu vermeiden. Hier mussten kreative Lösungswege gefunden werden, bei denen immer galt: Sicherheit geht vor. Auch diese Herausforderung wurde bewältigt, die Speicher wurden bis zur erneuten Inbetriebnahme vor Tiefentladung geschützt.

Daneben war der Kundenservice gefordert: Statt gewöhnlich weniger als 200 kamen mehr als 8.000 Anfragen via E-Mail. Die Telefonanlage hielt den vermuteten 10.000 bis 12.000 Anrufern schließlich nicht mehr stand.

Im Ergebnis gelang es am Tag der Fernabschaltung und in den Folgewochen, Endkunden und Fachpartner über Newsletter, Infomails, die Website, Social Media, die Senec App und die Medien zu erreichen. Durch Aufstockung des Personals im Kundenservice sowie Arbeitseinsätze von Senec- und EnBW-Mitarbeitern an den Wochenenden konnte die Anfragenflut in den Griff bekommen werden.

Die neue Sicherheitsarchitektur Smart Guard.

Foto: Senec

Die neue Sicherheitsarchitektur Smart Guard.

Smart Guard sichert Betrieb

Im Zusammenspiel der involvierten Teams und Experten konnte Senec schließlich die Ursache für die drei Brände ermitteln: „Es handelt sich um kleinste, aber signifikante Beschädigungen der Zellen“, erläutert Technikexperte Augustin. Durch langfristiges Monitoring und den übergreifenden Vergleich mit historischen Daten werden sie rechtzeitig erkennbar – und man kann entsprechend handeln. Aber auch wenn kleine Zellbeschädigungen vorliegen, müssen mehrere Umstände in der Umgebung des Heimspeichers zusammenkommen, damit es zu solchen statistisch ausgesprochen seltenen Brand­ereignissen kommen kann. Denn die Technik und ihre Nutzung sind komplex.


Mit Senec Smart Guard haben die Leipziger nun eine Software für alle Heimspeicher entwickelt, die einerseits lokal einmal pro Tag eine sieben- bis zehnminütige Batteriediagnose durchführt. Andererseits nutzt sie die Innenwiderstände und Kapazitäten der Batteriezellen, um das Drift- und Langzeitverhalten zu detektieren. „Kommt es in einem der beiden Schutzmechanismen zu Überschreitungen von Grenzwerten, schaltet das System automatisch ab und wird vollständig analysiert“, erklärt Augustin.

Schrittweise Wiederinbetriebnahme

Auf Basis dieser neuen Sicherheitsmethodik wurden die Speichersysteme wieder schrittweise in Betrieb genommen. „Stand Ende Oktober sind fast alle Speicher wieder im regulären Betrieb“, berichtet Geschäftsführerin ­Alemany erleichtert.

In Zukunft will Senec die Erkenntnisse der vergangenen Monate beispielsweise in Normungsgremien und Expertenrunden mit Verbänden und anderen Wettbewerbern teilen – damit Endkunden und Installateure noch sicherere Speicher bekommen. So hat der Leipziger Albtraum am Ende einen positiven Effekt für die Energiewende.

Kulanzzahlungen

„Dankbar für die Reaktion unserer Kunden“

Sie haben den Kunden kulanterweise 25 Euro pro Woche für den Stillstand der Speicher in Aussicht gestellt. Was bedeutet das für Senec?

Thomas Augat: Die Kulanzzahlungen für unsere Kunden belasten natürlich unser finanzielles Ergebnis. Aber von Anfang an war für uns klar: Wir werden unsere Kunden nicht alleine lassen und alles tun, was technisch und finanziell möglich ist.

Wie weit sind Sie mit der Auszahlung?

Zunächst einmal freut uns, dass die allermeisten Speicher mittlerweile wieder in Betrieb sind und sämtliche Parameter aus den Datenblättern einhalten. Die Auszahlung des Kulanzbetrages läuft seit Mitte Juni. Nahezu alle Kunden haben mittlerweile Zahlungen erhalten, die den wirtschaftlichen Schaden auch mithilfe unserer Muttergesellschaft EnBW großzügig kompensieren. Die Abwicklung war durchaus anspruchsvoll. Daher gibt es vereinzelte Fälle, in denen es zu Problemen bei der Auszahlung kam, und auch Fälle, die noch nicht vollständig evaluiert sind. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass auch diese Fälle bald abgeschlossen sein werden.

Hat Sie der große Rückhalt bei Fachpartnern und Endkunden überrascht?

Auf jeden Fall sehr gefreut. Unser Netzwerk aus Fachpartnern ist über Jahre organisch gewachsen. Hier gibt es eine große Verbundenheit miteinander. Das haben wir auch und gerade in der Phase ab März bis zur Intersolar sehr deutlich gespürt. Unsere Fachpartner haben nie mit konstruktiver Kritik gespart. Sie haben aber anerkannt und gewürdigt, dass wir mit einer kritischen Situation sehr kundenorientiert und verantwortungsvoll umgehen. Insgesamt sind wir sehr dankbar für die Reaktion unserer Kunden und ein klein wenig stolz darauf, wie umfassend und loyal sie uns in der schwierigen Phase unterstützt haben.

Wie schätzen Sie das ablaufende Jahr 2022 insgesamt ein?

Senec ist in den letzten Jahren sehr stark gewachsen und dabei ein ­grundsolides Unternehmen. Das zeigt sich daran, dass wir in diesem Jahr etwa 58.000 Speicher verkaufen. Die Nachfrage ist weitaus größer, doch die allgemein schwierige Situation bei der Verfügbarkeit von elektronischen Bauteilen und die instabilen Lieferketten etwa durch Lockdowns in Asien beschränken derzeit unser Wachstum.

Thomas Augat
ist kaufmännischer Geschäftsführer der Senec GmbH in Leipzig.

Senec

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Kundendienst unter Hochdruck

Die Fernabschaltung der Mehrzahl der in Deutschland installierten Speichersysteme stellte insbesondere den Endkunden-Support von Senec ab 9. März 2022 vor eine gewaltige Herausforderung. Anstatt gewöhnlich wenige Hundert Anfragen zu beantworten, kamen allein am ersten Tag der Abschaltung fast 4.000 Anfragen zur Fernabschaltung per E-Mail dazu. Und zeitgleich so viele Anrufe, dass die Telefonanlage zeitweilig abstürzte.

Vor dem 9. März arbeiteten im Kundensupport unter der Leitung von Mark Heesch-Paschy etwas mehr als 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie waren insbesondere dafür zuständig, eingehende Anfragen der Endkunden via E-Mail und Telefon zu beantworten. Mit der Entscheidung zur Fernabschaltung wurde das Team aufgestockt.

Trotzdem dauerte es mehrere Wochen, einen fünfstelligen Rückstand bei den Anfragen abzuarbeiten. Damit die Kundinnen und Kunden nicht so lange warten mussten, halfen an mehreren Wochenenden die Mitarbeiter aus anderen Abteilungen von Senec aus.

Aus der bislang vorwiegend reaktiven Arbeit wurde über Nacht aktive Kommunikation über Newsletter, die Senec App und das Kundenportal, um die Kunden über die Fernabschaltung und die Schritte zur Wiederinbetriebnahme zu informieren. Dazu kam die aktive Kommunikation auf der Website, in den sozialen Medien und der Fachpresse.

Eine besondere Herausforderung bestand darin, den Kunden auf ihre teilweise sehr detaillierten Fragen zu antworten, während die Sachlage zu den Ursachen noch völlig unklar war. Schwierig war auch zu vermitteln, dass technische Analyseprozesse in hochkomplexen Produkten trotz aller Bemühungen nicht über Nacht zu vollumfänglichen Antworten führen.

Der ein oder andere reißerische Bericht in den Medien oder Social Media hat Kunden zusätzlich verunsichert. Tage, an denen solche Berichte erschienen, waren für den Kundenservice besonders herausfordernd.