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„Angriffe auf die Stromkonzerne“

Was bringt ausgerechnet Ölkonzerne dazu, in erneuerbare Energie zu investieren?

Björn Broda: Zu nennen ist hier sicherlich primär der öffentliche Druck, dem Shell und Co. ausgesetzt sind. Es wird ja zu Recht ein angemessener Beitrag der Ölkonzerne zum Erreichen der Klimaziele von Paris gefordert. Schließlich gehören die Ölkonzerne zu den größten Emittenten von Treibhausgasen, wie Wissenschaftler des amerikanischen Climate Accountability Institute kürzlich veröffentlichten. Nach deren Analyse verursachten allein die fünf Konzerne Exxon Mobil, Chevron, BP, Shell und Total seit 1965 über zehn Prozent der weltweiten CO2-Emissionen.

Welche Rolle spielt die Finanzwirtschaft, die traditionell sehr eng mit der Ölindustrie verflochten ist?

Auch große Fonds und Investoren wie der norwegische Staatsfonds, Blackrock oder die Church of England wenden sich zunehmend von der Ölbranche ab oder fordern ein nachhaltigeres Geschäftsmodell. Auch wenn die Welt jenseits der Stromerzeugung vielleicht noch länger als erhofft auf Kohlenwasserstoffe angewiesen sein wird, wächst die Sorge vor sogenannten Stranded Investments. Gemeint sind langfristige Investitionen, die sich nicht mehr rechnen, weil der Höhepunkt der Nachfrage überschritten wird und die Margen mit sinkendem Ölpreis stark unter Druck kommen.

Und die Ölkonzerne selbst …?

Sie haben mitunter sehr lange sehr hohe Werbebudgets ausgegeben, um den Klimawandel herunterzuspielen und ihr etabliertes Geschäftsmodell zu verteidigen. Der britische Thinktank Influence Map schätzt, dass die eben genannten großen Konzerne seit dem Pariser Abkommen im Jahr 2015 Milliardenbeträge in entsprechendes Lobbying gesteckt haben. Gleichwohl, genutzt hat es wenig: Nach dem Siegeszug der erneuerbaren Energien in der Stromerzeugung drohen auch im Verkehrssektor durch alternative Antriebe sowie in der Petrochemie durch Plastikverbote schleichende Verluste des Marktanteils.

Das erkennt man sehr gut an den Aktienkursen der Konzerne …

Nicht ohne Grund gehören Ölaktien in den letzten Jahren zu den relativen Underperformern. Deshalb erkennt nun auch die Ölindustrie, dass sich die Kundenwünsche verändern und vor allem die Stromerzeugung aus Wind und Sonne wettbewerbsfähig geworden ist. Sie wollen am stabileren Wachstum der Erneuerbaren partizipieren und gleichzeitig ihr Geschäftsmodell diversifizieren, da die Unsicherheit über die künftige technologische Entwicklung groß ist. Vielleicht sind ihnen die erodierenden Geschäftsmodelle der konventionellen Stromerzeuger ein mahnendes Beispiel.

Produkttanks im Wesselinger Werk der Rheinland Raffinerie.

Foto: Shell

Produkttanks im Wesselinger Werk der Rheinland Raffinerie.

Sehen das alle Ölmanager so?

Waren die fünf großen Konzerne energiepolitisch lange auf einer Linie, so ist mittlerweile eine deutliche Teilung zu erkennen. Auf der einen Seite stehen die großen integrierten Unternehmen europäischer Herkunft wie Total, Shell, BP oder die norwegische Equinor, die einen Schwenk vom Öl- und Gaskonzern zu breiter aufgestellten Energieunternehmen einleiten. Dies ist beispielsweise ambitioniert formuliert in dem Ziel von Shell, bis 2030 zum größten Stromanbieter der Welt aufzusteigen. In bescheidenem Ausmaß beginnen selbst die öffentlichkeitsscheuen großen Ölhändler wie Trafigura oder Vitol, in Windkraft und Solaranlagen zu investieren.

Und wer steht auf der anderen Seite?

Auf der anderen Seite findet sich die US-amerikanische Ölindustrie um Exxon Mobil oder Chevron, die bei deutlich höheren Reserven zumindest bisher stark am traditionellen Kerngeschäft festhält. Der Schieferölboom stärkt diese Wettbewerber kurzfristig, macht sie aber langfristig verwundbar. Der Druck der US-Politik, zusätzliche Exportmärkte in Europa zu schaffen, ist mehr als deutlich. Anderenfalls droht ihnen das Schicksal der Tabakindustrie: ein langer Abschwung, wenn auch profitabel und auf hohem Niveau.

Wo liegt der Schwerpunkt der Investitionen von Total, Shell & Co.?

Abgesehen von der Verlagerung von Öl zu Gas, Investitionen in die CO2-Abspaltung und CO2-Speicherung oder Biokraftstoffe liegt der Schwerpunkt mittlerweile eindeutig auf dem Stromsektor. Die Investitionen verteilen sich über die gesamte Wertschöpfungskette mit Ausnahme des regulierten Netzgeschäfts. Der Einstieg geschieht fast durchgängig über M & A und nicht organisch, häufig über interne Venture-Bereiche sowie als Minderheitsbeteiligungen. Bloomberg verzeichnete allein 2019 mehr als 70 Transaktionen der Ölmagnaten.

Haben Sie konkrete Beispiele für solche M & A-Trans­aktionen?

Umtriebig im Solarbereich ist etwa Total mit der Beteiligung an Sunpower, mit 30 Prozent am internationalen Projektentwickler Total Eren, mit der 50-Prozent-Beteiligung an den Solaraktivitäten des indischen Mischkonzerns Adani sowie aktuell dem Einstieg in den spanischen Markt mittels Pipelinedeals über zwei Gigawatt mit den Projektierern Powertis und Solarbay.

Shell hat Sonnen vor gar nicht langer Zeit gekauft. Ist Shell weiterhin auf Einkaufstour?

Shell ist auf Einkaufstour, etwa mit der 44-Prozent-Beteiligung am US-amerikanischen Solarprojektentwickler Silicon Ranch, den Käufen von First Utility in Großbritannien, ERM Power in Australien oder eben Sonnen aus dem Allgäu. Zudem beteiligt sich Shell mit 49 Prozent am Entwickler Esco Pacific in Australien.

Und BP, einst im Solargeschäft nicht unbekannt?

Bei British Petrol sind es vor allem die mittlerweile auf 50 Prozent aufgestockte Beteiligung an Lightsource BP oder die Übernahme von Chargemaster, Anbieter von Ladeinfrastruktur für die Elektromobilität. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Insgesamt fällt auf, dass Big Oil zwar noch nach dem richtigen Geschäftsmodell zu suchen scheint, aber mit allen diesen Aktivitäten deutlich in Konkurrenz zu den großen, internationalen Energiekonzernen wie Iberdrola, Enel, Engie oder RWE tritt. So könnte ein passender Energieversorger schnell zum Übernahmekandidaten werden.

Wie ernst wäre ein Angriff auf die Stromkonzerne?

Aufsehen erregte kürzlich die Ankündigung der spanischen Repsol, langfristig bis 2050 netto CO2-neutral zu werden. Der neue CEO von BP, Bernard Looney, zog nach, er will Strategie und Maßnahmen im September konkretisieren. Heute macht der Anteil der Investitionen in erneuerbare Energien bei den großen europäischen Ölkonzernen an deren Gesamtinvestitionen nur zwischen fünf und zehn Prozent aus. Das liegt jedoch deutlich über dem Branchenschnitt. Im Assetbereich liegt der Investitionsschwerpunkt in kapitalintensiven, skalierbaren Engagements in Offshore-Windkraft oder bei sehr großen Wind- und Solarparks an Land, die teilweise in risikoreicheren Emerging Markets liegen. Die Bestandsportfolios der Späteinsteiger liegen bisher weit abgeschlagen hinter den großen Stromkonzernen.

Tankanlagen des Werks Godorf der Rheinland Raffinerie.

Foto: Shell

Tankanlagen des Werks Godorf der Rheinland Raffinerie.

Dann sind die Investitionen in erneuerbare Energien nur ein Feigenblatt?

Nicht unbedingt. Sollten die Öl- und Gasunternehmen ihre Transformation beschleunigen, kommen ihnen ihre massive Finanzkraft, die Kompetenzen im Trading sowie die internationalen Erfahrungen und politischen Kontakte zugute – auch in schwierigen Märkten. Zu nennen sind zudem technische Kompetenzen, etwa in der Offshore-Technik.

Gibt es weitere Aktivitäten?

Neben den Investitionen zeichnen die Handelssegmente der Ölriesen mit wachsender Tendenz langfristige Abnahmeverträge für Grünstrom zur CO2-neutralen Versorgung ihrer Anlagen oder zur Belieferung an Dritte. Langfristig könnte grüner Wasserstoff an Bedeutung gewinnen, um etwa Produktionsprozesse in den Raffinerien zu dekarbonisieren und damit wiederum die Infrastruktur gegen steigende CO2-Preise oder andere Auflagen zu schützen.

Warum tun sich die Ölkonzerne insgesamt so schwer mit den Erneuerbaren?

Ein Grund lag sicher in den für die Maßstäbe des Ölgeschäfts kleinen und kleinteiligen Anfängen der dezentralen Energiewende. Selbst ein überschaubarer Konzern wie die dänische Dong brauchte mehr als eine Dekade, um zum größten Projektierer von Offshore-Windkraft Orsted zu mutieren. Mittlerweile ist der ehemalige Pioniermarkt ein globales Phänomen mit entsprechenden Möglichkeiten zu investieren – auch für die Großen der Ölbranche. Der zweite Grund besteht in der moderaten Kapitalverzinsung durch regulierte Einspeisevergütungen, die das Geschäft bisher eher für Energieversorger und Finanzinvestoren attraktiv machte. Die Kapitalrendite wird zusätzlich über Finanzinstrumente wie Green Bonds oder Anteilsverkäufe gehebelt. Auch dann bleiben die Renditen unter den historischen Erfahrungswerten in der Öl- und Gasexploration. Zudem muss Big Oil darauf achten, durch die eigenen Investitionsmittel die Rendite nicht zu stark zu drücken.

Müssen die Ölriesen umdenken?

Die Ölindustrie steht beim Kauf von Solarparks vor einem Dilemma: Einerseits fordern die Investoren ein nachhaltiges Geschäftsmodell. Andererseits werden an Ölaktien hohe Rendite- und damit Kapitalkostenanforderungen gestellt. So soll die Ölindustrie gleichzeitig mit hohen Investitionen die Öl- und Gasexploration stabilisieren, attraktive Dividenden ausschütten und die erneuerbaren Energien ausbauen. Historisch arbeiten die Oil Majors aufgrund der sehr langfristigen Investitionen in teilweise risikoreichen Ländern bei volatilen Ölpreisen mit hohen Eigenkapitalquoten. Das erschwert den Ausbau des bis dato stabilen, auf Projektfinanzierung basierenden Geschäftsmodells von Wind und Solar mit seinem zersplitterten und wettbewerbsintensiven Markt und im Vergleich niedrigen Margen.

Die Firma Sonnen aus Wildpoldsried war Vorreiter bei Stromspeichern mit Lithiumbatterien.

Foto: Sonnen

Die Firma Sonnen aus Wildpoldsried war Vorreiter bei Stromspeichern mit Lithiumbatterien.

Wie sieht es in der Projektentwicklung aus?

Wir beobachten, dass sich Ölkonzerne direkt an Projektentwicklern beteiligen. Das höhere Risikoprofil der Projektentwicklung passt besser zu Big Oil. Über Kapitalerhöhungen werden Beteiligungen wie Lightsource BP oder Equinor/Scatec zusätzliches Wachstumskapital zugeführt. Bisher erfolgt die Kooperation zumeist über Minderheitsbeteiligungen, was die Projektentwickler von entsprechenden Governance-Anforderungen entlastet. Außerdem können sie günstiges Fremdkapital über diese Plattformen einfacher einwerben. Der globale Trend weg von festen Einspeisevergütungen hin zu PPA oder Merchant-Projekten spielt den finanzstarken Ölriesen mit ihren Handels- und Vermarktungskapazitäten zusätzlich in die Karten. Die steigende Volatilität der Strompreise erhöht das Margenpotenzial. Für Finanzinvestoren würden die Investitionen in Wind und Solar dagegen dadurch unattraktiver.

Müssen sich Projektentwickler wie Juwi fürchten?

Niemand muss sich fürchten. Der Investitionsbedarf zur Umsetzung der Energiewende ist enorm. Die Transformation der Ölindustrie schafft neue Nachfrage nach Wind- und Solarprojekten. So hat Juwi kürzlich das mit 204 Megawatt größte Solarprojekt Südosteuropas an die griechische Hellenic Petroleum verkauft. Zudem erlaubt die Finanzkraft der Ölgesellschaften, mehr PPA zu zeichnen und damit Projekte in einer subventionsfreien Ära zu finanzieren. Auch hierfür wird es Greenfield-Entwickler geben. Und viele dezentrale Projekte werden von der Größenordnung her gar nicht interessant für Big Oil sein. Auch wird es in der Projektentwicklung weiterhin auf Geschwindigkeit und lokale Nähe ankommen. Das ist nicht unbedingt die Stärke der Ölindustrie.

Gibt es Herausforderungen und Risiken?

Natürlich profitieren die mit den Ölriesen verbundenen Projektentwickler von den Kapitalerhöhungen, etwa beim Kauf von Projektrechten. Daneben erlaubt der kapitalintensive Aufbau eigener Asset-Portfolios im Rahmen eines Entwickler-IPP-Modells eine stärkere Standardisierung bei Betrieb und Wartung der Anlagen (O & M). Auf diese Weise wird das Geschäft in schwankenden Marktphasen stabilisiert. Mehr Kopfzerbrechen bereitet mir die Kooperation mit den Oil Majors im PPA-Geschäft. Insbesondere in Märkten mit wenigen bonitätsstarken Stromabnehmern kann sie die Margenverteilung in der Wertschöpfungskette deutlich beeinflussen oder andere Projektentwickler ausgrenzen. Es wird oft vergessen, dass der Vorgänger der größten Ölmultis, Rockefellers Standard Oil, nicht durch die Ölförderung, sondern durch die marktbeherrschende Stellung bei den Raffinerien groß wurde.•

Das Gespräch führte Heiko Schwarzburger.

2019 wurde Sonnen von Shell übernommen, wird aber unter der bekannten Marke fortgeführt.

Foto: Sonnen

2019 wurde Sonnen von Shell übernommen, wird aber unter der bekannten Marke fortgeführt.
Björn Broda
beschäftigt sich mit strategischen Fragen, neuen Geschäftsmodellen und internationalen Energiemärkten. Nach Stationen auf verschiedenen Führungs­positionen im Finanz-, Strategie- und M & A-Bereich in der Energie­wirtschaft wechselte er 2016 zu Juwi. Seit 2018 ­leitet er den Geschäftsbereich Corporate Strategy, Communications & ­Public ­Affairs von Juwi.

Foto: Juwi Gruppe

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