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Mehrfamilienhäuser

Hürde für Mieterstrom fällt

Bis Mitte September 2023 waren in Deutschland gut 7.550 Mieterstromanlagen mit einer Gesamtleistung von 145,9 Megawatt in Betrieb. Das sind 0,22 Prozent der insgesamt installierten Leistung in Deutschland. Damit wird klar, dass die Energiewende vor allem in den Städten kaum vom Fleck kommt. Denn gerade dort sind Mieterstromanlagen eine Möglichkeit, die Menschen an der Energiewende teilhaben zu lassen und gleichzeitig die vorhandenen Dachflächen für die Photovoltaik zu ­nutzen.

Virtuelle Summenzähler erlaubt

Dass der Ausbau in den Städten schwierig ist, zeigt auch der aktuelle Solarcheck des Ökoenergieanbieters Lichtblick. Demnach beträgt in den Großstädten der Bundesrepublik die installierte Photovoltaikleistung fast neun Kilowatt pro 1.000 Einwohner. Zum Vergleich: Die installierte Leistung pro 1.000 Einwohner bundesweit beträgt mit 813 Kilowatt nahezu das Hundertfache. Vereinfachungen in der Mieterstromgesetzgebung können deshalb den Ausbau der Photovoltaik in den Städten beschleunigen.

Das hat inzwischen auch die Bundesregierung verstanden. Nachdem sie bei der letzten EEG-Novelle den Mieterstrom stiefmütterlich behandelt hat, stehen jetzt längst überfällige Vereinfachungen an oder sind schon umgesetzt. Dazu gehört auch das Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende. Denn dort ist die Möglichkeit festgelegt, intelligente Messsysteme auch in Mehrfamilienhäusern einzubauen – eine Regelung, die der Bundesrat ins Gesetz hineinverhandelt hat.

20 Prozent weniger Kosten

So können in Zukunft virtuelle Summenzählermodelle aufgebaut werden. Voraussetzung ist, dass alle Messstellen mit Smart Metern ausgestattet sind. Diese messen weiterhin den produzierten Solarstrom und den Gesamtstromverbrauch der Mieter.

Aus den beiden Werten und dem Verbrauchswert am Netzanschluss können mittels einer Software die jeweiligen Stromanteile aus der Photovoltaik und aus dem Netz exakt zugeordnet und abgerechnet werden.

Diese Lösung hat den Vorteil, dass die aufwendigen physischen Summenzähler entfallen. Sie haben in der Vergangenheit die Projekte unnötig verteuert. Ernesto Garnier, Geschäftsführer des Mieterstromspezialisten Einhundert Energie, geht von Preiseinsparungen in Höhe von etwa 8.000 Euro pro Netzanschluss aus.

Dadurch verringern sich die gesamten Netzanschlusskosten um rund 20 Prozent. „Wir sind derzeit dabei, Projekte neu zu bewerten und zu kalkulieren, da sich nun eine Vielzahl von ihnen besser rechnen wird“, erklärt Garnier. „In der Vergangenheit mussten wir bei vielen Projekten hohe Baukostenzuschüsse für die Elektrik ansetzen. Das ist jetzt anders: Durch die Gesetzesänderung können wir unsere Smart-Meter-Kompetenz endlich dafür nutzen, die Projektkosten für Immobilienunternehmen zu minimieren.“

Bisher mit Netzbetreiber verhandelt

Ernesto Garnier rechnet damit, dass sich 50 Prozent mehr Gebäude für den Aufbau von Mieterstromanlagen eignen. Das Unternehmen hat zusammen mit dem Wohnungsunternehmen Rheinwohnungsbau in Düsseldorf schon ein Projekt mit virtuellem Summenzählermodell umgesetzt. Dabei wurden mehrere kleinere Gebäude mit Mieterstromanlagen ausgestattet.

Gerade bei solchen Projekten zeige der virtuelle Summenzähler seine Wirkung. Denn ohne das virtuelle Messkonzept wären viele der Projekte nicht umsetzbar gewesen. Da die meisten Gebäude jeweils einen eigenen Netzanschlusspunkt haben, wären die Kosten zu hoch gewesen.

Eichrechtskonform bilanziert

Da das Projekt vor der Gesetzesänderung begonnen hatte, musste Einhundert Energie noch mit dem Netzbetreiber bilateral verhandeln, damit dieser es erlaubt. Mit dem neuen Gesetz entfallen auch solche Vereinbarungen.

Mit den neuen gesetzlichen Regelungen wird auch der Wechsel in oder aus einem Mieterstromprojekt einfacher möglich. Es entfällt der Aufwand für den Netzbetreiber, die Nichtteilnehmer aus dem Gesamtverbrauch herauszubilanzieren. „Die Gleichstellung von virtuellen und physischen Summenzählern war aus unserer Sicht mehr als überfällig und wir begrüßen die Zustimmung des Bundesrats“, betont Frederik Pfisterer, Geschäftsführer von Solarize Energy Solutions, einem Entwickler von Mieterstromkonzepten mit Sitz in Stuttgart. „Dadurch wird der Weg frei für einen flächendeckenden Einsatz dieses Messkonzepts und letztendlich die Energiewende in Immobilien mit mehreren Mietern wirkungsvoll beschleunigt.“

Keine Netzgebühren für den Strom

Solarize hat eine Software für die eichrechtskonforme Bilanzierung und automatisierte Abrechnung von Stromkosten in Mehrparteienimmobilien entwickelt. Sie eignet sich für Wohn- und Gewerbegebäude gleichermaßen. Das ist wichtig. Denn gerade das Gewerbesegment war bisher beim Mieterstrom benachteiligt.

Das soll sich ändern. Denn das Solarpaket 1 der Bundesregierung sieht vor, dass in Zukunft auch reine Gewerbegebäude in die Mieterstromförderung miteinbezogen werden.

Dies hat gleich mehrere Vorteile – sowohl für die Energiewende als auch für die Mieter. Denn die Gewerbemieter haben im Gegensatz zu Wohnmietern einen Lastgang, der besser zur Erzeugungskurve der Solaranlage passt. Dadurch wird mehr Solarstrom vor Ort genutzt, was wiederum das Projekt von vornherein wirtschaftlicher machen kann.

Zudem entfallen dank EU-Regulierung Transport- und Netzgebühren für den vor Ort verbrauchten Strom, wie Frederik Pfisterer betont. Dadurch lassen sich für den Anlagenbetreiber höhere Erträge erzielen. Zudem kann die Aussicht auf günstigen und nachhaltigen Strom die Attraktivität der Immobilie steigern und Mieter langfristig binden, was gerade bei Gewerbeimmobilien nicht unerheblich ist.

Kilowattstunden genau abrechnen

Durch die Stromerzeugung vor Ort sind Mieter weniger von Strompreisschwankungen betroffen, da in der Regel ein fester Preis vereinbart wird. Dieser orientiert sich wiederum hauptsächlich an den Erzeugungskosten des Solarstroms. Preisschwankungen für den Netzstrom fallen dabei weniger ins Gewicht. Außerdem trägt eine Photovoltaikanlage neben der Nachhaltigkeit zusätzlich zur Wertsteigerung der Immobilie bei.

Solarize nutzt für die Umsetzung eines Mieterstrommodells hauptsächlich die registrierende Leistungsmessung und intelligente Messsysteme. Die Messwerte werden über die Software des Unternehmens bilanziert. So kann dann kilowattstundengenau abgerechnet werden.

Anbindung an den Spotmark möglich

Die Abrechnung kann auch über ERP-Systeme geschehen. Solarize hat dazu inzwischen Schnittstellen zum System beispielsweise von Nevaris Finance, Datev und Aareon geschaffen. Die Integration in SAP-Systeme und weitere Unternehmensführungsprogramme ist geplant. Mit der Software ist zudem die Umsetzung eines Zwei-Preis-Systems für Solar- und Netzstrom inklusive der Anbindung von Spotmarkttarifen umsetzbar.

Mieterstromprojekte wie diese Anlage von den Elektrizitätswerken Schönau, der Bürgerenergie Berlin und der ­Wohnungsgenossenschaft Neukölln waren bisher wirtschaftlich auf Kante genäht. Durch die neuen Regelungen werden die Projekte einfacher.

Foto: Christopher Rowe

Mieterstromprojekte wie diese Anlage von den Elektrizitätswerken Schönau, der Bürgerenergie Berlin und der ­Wohnungsgenossenschaft Neukölln waren bisher wirtschaftlich auf Kante genäht. Durch die neuen Regelungen werden die Projekte einfacher.
Vor allem in ­Gewerbegebäuden wie hier in Berlin rechnet sich der Mieterstrom. Denn dort kann viel Solarstrom vor Ort ­genutzt werden.

Foto: Solarize Energy Solutions

Vor allem in ­Gewerbegebäuden wie hier in Berlin rechnet sich der Mieterstrom. Denn dort kann viel Solarstrom vor Ort ­genutzt werden.

Socomec

Strommonitoring für Mieter

Zunächst auf das Segment der gewerblichen Mieterstromanlagen wie Einkaufszentren zielt Socomec mit seiner Lösung. Es ist aber auch für Wohngebäude geeignet, in denen man kilowattstundengenau abrechnen will. Grundlage sind Messpunkte, die bei jedem Kunden innerhalb eines Arealnetzes oder eines Gebäudenetzes aufgebaut werden. Je nach Leistung ist in größeren Gebäuden ohnehin der Einbau von Messtechnik vorgeschrieben.

An diesen Messpunkten wird jeweils ein Strommessgerät der Diris-Digiware-Serie von Socomec installiert. „Die Geräte messen im 15-Minuten-Takt die Energie, die zum Mieter fließt“, erklärt Guy Schaaf, Marketing & Specification Manager von Socomec in Deutschland und Österreich. „Dies ist in der Regel die Auflösung der Leistungsmessung großer Verbraucher. Damit sie mit der Abrechnung der Strommengen zusammenpasst, haben wir uns auch für die viertelstündliche Auflösung entschieden.“

Diese Strommessgeräte übermitteln ihre Daten an ein Differenzstromüberwachungsgerät Digis Digiware R-60, das im Hauptverteilerschrank untergebracht ist. In der Regel fließen die Daten über ein Ethernet im Gebäude. Dazu sind die Geräte mit einem RJ45-Anschluss ausgestattet. Es gibt aber auch zusätzliche Funkmodule, über die das Strommessgerät seine Daten auch ohne physischen Anschluss über das Internet an die Stromüberwachung schicken kann.

Von dem Stromüberwachungsgerät fließen die Daten über ein Spannungsmessgerät an einen Datenlogger D-70. Er erlaubt den Zugriff auf die Messdaten und stellt sie auf einem Bildschirm dar. Die Daten können aber auch über den integrierten Webserver abgerufen werden – zur Auswertung und Abrechnung.

Socomec hat die Mess- und Monitoringgeräte gemäß der Measurement International Directive (MID) zertifizieren lassen. Dadurch sind sie geeicht und für die kilowattstundengenaue Abrechnung von Strommengen innerhalb von Mieterstromanlagen zugelassen.

Die Geräte müssen jedoch alle acht Jahre neu geeicht werden. Deshalb hat Socomec bei der Entwicklung darauf geachtet, dass sie sich schnell austauschen lassen. „In der Regel werden sie dann durch neue Geräte ersetzt“, sagt Guy Schaaf. „Das geht schnell. Denn der Handwerker muss nur die Kommunikationsleitungen abziehen, das Gerät abschrauben, ein neues anschrauben, die Kommunikationsleitungen wieder anschließen und fertig.“

Foto: Velka Botička

Solarize

Mieterstrom für Einzelhandel

Foto: Solarize Energy Solutions

Bisher haben es Einzelhandelsketten, die ihre Geschäfte in Einkaufszentren betreiben, schwer, Solarstrom direkt vor Ort zu beziehen. Dass dies jedoch möglich ist, zeigt ein Projekt auf dem Carl-Metz-Areal in Karlsruhe, das der Stuttgarter Softwareentwickler Solarize zusammen mit dem örtlichen Netzbetreiber umgesetzt hat. Der Solarstrom vom Dach wird in ein vorhandenes Gebäudenetz eingespeist. Die Filialisten verbrauchen im Rahmen eines Onsite-PPA so viel Sonnenstrom wie möglich. Der Rest kommt aus dem Netz.

Im Auftrag der Betreibergesellschaft OSP Ollisa Solar Power hat Solarize gemeinsam mit dem Netzbetreiber ein Messkonzept erarbeitet. Es setzt auf die bereits bestehende Zähler­infrastruktur auf, über die der Stromverbrauch der einzelnen Händler viertelstündlich gemessen wird. Um Netzstrom und Mieterstrom sauber abzugrenzen, hat Solarize diese Messinfrastruktur in zwei virtuelle Vermarktungspunkte aufgeteilt. Der bezogene Netzstrom sowie der bezogene Photovoltaikstrom jedes einzelnen Mieters werden unabhängig von ihrer Herkunft über den Zähler im Viertelstundentakt gemessen. Eine Bilanzierungsformel teilt die beiden Stromquellen proportional zum Anteil am Gesamtverbrauch aller Mieter rechnerisch in Netz- und Solarstrom immer verbrauchsgenau pro Viertelstunde auf.

Zusammen mit dem Stromerzeugungszähler der Photovoltaikanlage auf dem Dach lässt sich damit für jeden Teilnehmer genau errechnen, wie viel Strom aus welcher Quelle bezogen und wie viel ins Verteilnetz eingespeist wurde. Auf Basis dieser Bilanzierung generiert eine Abrechnungsplattform von Solarize automatisch jeden Monat eine Stromrechnung für das Onsite-PPA. Die Reststrommenge wird weiterhin vom jeweiligen Lieferanten des Mieters geliefert und in Rechnung gestellt.

SFV

Verbesserungen für Mieterstrom vorgeschlagen

Foto: Sven Bock/Berliner Stadtwerke

Der Solarenergie-Förderverein (SFV) hat in einer Stellungnahme an das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) Vorschläge zur Beschleunigung von Mieterstromprojekten vorgeschlagen. Neben den bereits umgesetzten und geplanten Maßnahmen weist der Verein unter anderem darauf hin, dass nicht nur die Netzanschlussverfahren, sondern auch die Abrechnungsprozesse der Netzbetreiber bundesweit standardisiert werden müssen. Dies gilt auch für die Regelungen zu den gemeinschaftlichen Anlagen zur Gebäudeversorgung, die die Bundesregierung nach österreichischem Vorbild einführen will. Diese Maßnahme ist – genauso wie das virtuelle Summenzählermodell – bei bürokratiearmer Umsetzung geeignet, die Abrechnung innerhalb einer Hausgemeinschaft zu erleichtern.

Zudem fordert der SFV, den Mieterstromzuschlag auf mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde ohne weitere Degression anzuheben. Dadurch können die Mieterstromanbieter und Vermieter den zusätzlichen Verwaltungsaufwand bei einer Mieterstromanlage abdecken. Zum Vergleich: Am Anfang dieses Jahres lag der Mieterstromzuschlag je nach Größe der Solaranlage zwischen 1,67 und 2,67 Cent pro Kilowattstunde. Dieser Zuschlag ist seither jeden Monat um 1,8 Prozent für neu installierte Anlagen gesunken und sinkt um den gleichen Wert immer weiter.

Zudem sollte für die Gewährung des Mieterstromzuschlags kein Antragsverfahren bei der Bundesnetzagentur mehr nötig sein. Der SFV fordert außerdem die Befreiung von der Stromsteuer gemäß Paragraf 9 des Stromsteuergesetzes. Dieser Paragraf regelt die Befreiung des selbst verbrauchten Solarstroms von der Stromsteuer. Da Mieterstrom ebenfalls vor Ort verbraucht wird – nur nicht vom Anlagenbetreiber selbst –, wäre diese Befreiung folgerichtig.