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Hochstapler an der Donau

Elf Etagen, ein Skelett aus Stahlbeton, rund 800 Arbeitsplätze für Wissenschaftler, Angestellte und Studenten der Fakultät Maschinenbau der TU Wien. Dieses Gebäude ist bestimmt kein Tiefstapler. Und doch verbirgt es seine Reize, erst auf den zweiten Blick erkennt man sie. Forscher und Haustechniker sind gemeinsam zu Werke gegangen, um das klobige Hochhaus am Wiener Getreidemarkt zu einem Schmuckstück der Modernisierung zu machen.

Um das Ziel eines Plusenergiegebäudes zu erreichen, wurde der jährliche Primärenergiebedarf von 803 auf 61 Kilowattstunden je Quadratmeter Bruttogeschossfläche gesenkt. Im Frühjahr 2011 begannen die Planungen, um den Massivbau zu erneuern. Baubeginn war im März 2012, die Fertigstellung im Oktober 2014. Die Nettogeschossfläche beträgt 13.500 Quadratmeter, brutto sind es 15.850 Quadratmeter.

Insgesamt arbeiteten 20 Planerteams in den vergangenen beiden Jahren an dem 26 Millionen Euro teuren Projekt. Federführend war der Architekt Gerhard Kratochwil vom Generalplaner (Arge) Hiesmayr, Gallister und Kratochwil aus Wien. So blieb nur das Gerippe des Stahlbetonskeletts übrig, dem die Architekten und Techniker neues Leben einhauchten. Elf Stockwerke wurden luftdicht eingepackt. Nun setzt das Gebäude neue Standards in der Passivhausbauweise für Bürohäuser.

Zuerst den Energieverbrauch senken, danach den Restbedarf mit erneuerbaren Energien decken. Fast den gesamten Stromverbrauch des Gebäudes liefert die Photovoltaik. Der Rest kommt von der Serverabwärme und der Bremsenergie der drei Aufzüge im Gebäude.

Fassade in drei Teilen

Es ist die größte Solarfassade Österreichs: 1.581 Quadratmeter leisten 230,6 Kilowatt. Die Module wurden an der südlichen und südöstlichen Fassade montiert. Die Anlagenplaner von ATB-Becker aus dem Tiroler Absam entschieden sich für rahmenlose Glas-Glas-Module mit monokristallinen Solarzellen. Die Zellen stammen von Neo Solar, ihr Wirkungsgrad erreicht 19 Prozent. Am Stiegenhaus der Südostfassade führte man die Module als Isoliergläser aus. Dort ergeben sie interessante Lichteffekte und Ausblicke über die Dächer Wiens.

Die Planungen hatten ergeben, dass eine Aufteilung der Sonnenfassade in drei Teilflächen günstiger in der Anschaffung kommt und einen höheren Ertrag liefert. Da die Zellen feste Abmessungen haben, wurde eine optimale Modulgröße gefunden, welche die maximale Anzahl an Zellen pro Modul ermöglicht. Oberhalb und unterhalb des Fensterbandes befinden sich Solarmodule, im Bereich des Fensterbandes sitzt eine Prallscheibe für den Windschutz.

100 Kilowatt auf dem Dach

Als wichtiges Detail erwies sich der Abstand der Zellen vom Rahmen. Ist dieser beispielsweise am unteren Rand zu klein, kann sich an dieser Kante Schmutz ablagern.

Auch wurde die Verschattung der Zellen durch die Abdeckprofile minimiert. Die Hinterlüftung der Fassade erfolgte nach Simulationen, die optimale Öffnungen für die Wärmeabfuhr ergaben. Zudem wurde eine Dachanlage installiert, fast 100 Kilowatt Solarleistung.

Die Glas-Folien-Module nehmen rund 618 Quadratmeter ein. Sie wurden gen Süden ausgerichtet und mit 15 Grad Neigung aufgeständert. Abtauender Schnee rutscht auf das Flachdach, das sich unter der Stahlkonstruktion für die Modulmontage befindet. Das restliche Modulfeld vor der Traufe wurde mit einem Schneeschild versehen.

Insgesamt bedecken die Solarmodule auf dem Dach und an der Fassade 2.199 Quadratmeter Fläche.

Die Solarleistung beträgt 328,4 Kilowatt. Der prognostizierte Ertrag liegt bei 226 Megawattstunden im Jahr. Der gesamte Sonnenstrom wird im Gebäude selbst verbraucht, Überschüsse nehmen die Nachbargebäude ab.

Die ursprünglich vorgehängte Fensterbandfassade wurde abgebrochen und durch eine neue wärme- und sonnenschutztechnisch optimierte Fassadenkonstruktion mit integrierter Photovoltaik ersetzt.

DC-Optimierung mit Solar Edge

Installiert wurde die Anlage von der Firma Fiegl & Spielberger. „Da wir bei gewerblichen Solaranlagen grundsätzlich Leistungsoptimierer von Solar Edge empfehlen, wussten wir bereits im Vorfeld, dass das flexible Anlagendesign höhere Erträge ermöglicht“, sagt Daniel Leitner, der bei dem Unternehmen die Abteilung für Photovoltaik leitet. „Bei dieser konkreten Anlage wird der spezifische Jahresertrag um 30 bis 40 Kilowattstunden je Kilowatt erhöht.“

Die Leistungsoptimierer agieren am Modul, somit lassen sich die Paneele einzeln überwachen und warten. Über das Monitoringportal von Solar Edge werden die Erträge ausgewertet.

Daneben bieten die Leistungsoptimierer eine spezielle Safe-DC-Funktion. Sie senkt die Modulspannung automatisch auf ein sicheres Niveau ab. Für die Module in der Fassade ist das ein echtes Plus in Sachen Anlagensicherheit und Ertragsoptimierung.

Insgesamt kamen 19 Wechselrichter vom Typ SE 17K und 1.135 Leistungsoptimierer zum Einsatz. Die kleinen Optimierer wurden mit Einzelmodulen oder im Duo-Modus verschaltet. Gerade bei ungünstigen Einstrahlungsbedingungen wie an einer Fassade können sie ihre Stärken ausspielen. Man darf gespannt sein, ob sich der Aufwand in diesem Fall tatsächlich in höheren Erträgen niederschlägt.

Am Bürohaus wurden nicht nur optimierte Solargeneratoren installiert und jeder Quadratmeter ausgenutzt. Zugleich rückten die Ingenieure dem Energieverbrauch zu Leibe. Noch 2009 lag der Strombedarf des Kolosses bei 2.067 Megawattstunden. Die Modernisierung senkte den Energiehunger um rund 90 Prozent.

Um Stromfresser zu eliminieren, wurden viele einzigartige Lösungen entwickelt. So ließen die beiden Wissenschaftler Thomas Bednar (Leiter des Forschungsbereiches für Bauphysik und Schallschutz an der TU Wien) und Helmut Schöberl (Schöberl & Pöll GmbH, Wien) keinen noch so kleinen Energiefresser unbehelligt. „Wir haben zum Beispiel die Bewegungsmelder selbst entwickelt, weil uns der Stromverbrauch der handelsüblichen Geräte zu hoch war“, sagt Helmut Schöberl.

800 Bewegungsmelder im Haus

Rund 800 Bewegungsmelder benötigt der Koloss. Da summiert sich der Stand-by-Strombedarf von 1,5 Watt übers Jahr zu einem schönen Sümmchen. Jetzt ist der kleine Spion nur mit 0,05 Watt am Netz.

Beamer, die früher im Sommer monatelang im Standby-Modus dösten, schalten sich jetzt nur mehr ein, wenn die Leinwand herabgezogen wird. Überall im Haus drehen unsichtbare Schalter das LED-Licht wieder aus, wenn niemand den Gang bevölkert. „Wir wollen diese Technologien drei Jahre lang testen, um die Erfahrungen auch bei anderen Sanierungen zu nutzen“, sagt Hans-Peter Weiss, der Geschäftsführer der österreichischen Bundesimmobiliengesellschaft (BIG).

Vorbild für weitere Sanierungen

Er ist der Hausherr im Wiener TU-Gebäude. Gerade er 41 weitere größere Sanierungen von Unigebäuden auf dem Tisch. Die BIG ist die Besitzerin der Immobilie, die Universität zahlt Miete und Betriebskosten. Letztere werden durch die Sanierung deutlich minimiert.

Das sanierte Hochhaus erhielt den Klimaaktiv-Gold-Standard, die höchste österreichische Zertifizierung. Denn neben den erwähnten Lösungen für Stand-by werden 30 Prozent der Energie durch die Aufzüge rückgewonnen. Besonders effiziente Drucker und Kaffeemaschinen wurden installiert. Insgesamt kümmerten sich die Planer um 240 Kategorien von Energieverbrauchern. Rund 9.300 verschiedene Komponenten mussten den Verbrauchstest bestehen.

Stand-by von 500 Rechnern

Im Hochhaus der Maschinenbauer laufen sage und schreibe rund 500 Rechner. Gemäß dem strengen Verbrauchsziel von 61 Kilowattstunden je Quadratmeter und Jahr, kommt dem Energieverbrauch eines Standcomputers samt Bildschirm eminente Bedeutung zu. Scheinbar geringe und unbedeutende Leistungsaufnahmen von drei Watt im Stand-by-Modus summieren sich auf 1,5 Kilowatt.

Also suchten die Ingenieure nach Alternativen. Im Ergebnis entstand ein Gerät der Marke Eigenbau, das nur 0,3 Watt benötigt. Im Normalbetrieb schluckt dieser Computer nur noch 13 Watt, gegenüber 100 Watt bei marktüblichen Standardgeräten.

Raffinierte Lüftung

Dem gut abgedichteten TU-Hochhaus verpassten die Planer eine raffinierte Lüftung mit exzellenter Wärme- und Feuchterückgewinnung: Kernlüftung und thermische Kopplung der einzelnen Räume ermöglichen eine freie Kühlung in der Nacht.

Die kühle Nachtluft streicht durchs Gebäude und zieht – erwärmt – durch zwei Schächte nach oben ins Freie. Dies ermöglichen motorengesteuerte Fenster an der Ostseite des Gebäudes.

Für die Wärme sorgt der bestehende Anschluss an das Fernwärmenetz in Wien. Er fungiert lediglich als Reserve: Denn das elfstöckige Institutsgebäude heizt de facto nur mittels Abwärme aus den zahllosen Computern. „Das geht aber nur, weil wir ein sehr gut gedämmtes und hüllendichtes Passivhausgebäude gebaut haben, bei dem wir die Nutzungen recht gut voraussagen können“, erklärt Forschungsleiter Thomas Bednar.

Serverraum mit 100 Kilowatt

Der zentrale Serverraum befindet sich im zweiten Untergeschoss. Dort ist es angenehm kühl, obwohl oben die Köpfe und Rechner der Forscher rauchen. Die Abwärme der Elektronik wird in den Heizraum geleitet. Wassergeführte Kühlschleifen zwängen sich zwischen die Rechnerracks, holen sich die Wärme hautnah ab.

Das ist viel effektiver als die herkömmliche Wärmerückgewinnung aus der warmen Abluft. Der Serverraum ist auf 100 Kilowatt elektrische Anschlussleistung ausgelegt.

Lifte speisen Strom zurück

Eine wesentliche Quelle für Strom sind die elektrischen Aufzüge. Drei Aufzüge sind im Gebäude installiert, ihr Stand-by-Bedarf wurde auf unter 40 Watt pro Aufzug gedrückt. Jeder Aufzug verfügt über mehr oder weniger schwere Gegengewichte, um die übliche Menge an Personen auszugleichen, die den Aufzug bevölkern.

Doch weil die Aufzugsbauer die Gewichte großzügig auslegen und verschieben, sind hier erhebliche Spielräume beim Stromverbrauch möglich. Bremst ein Aufzug, kann er 30 Prozent der Energie durch Rekuperation nutzen.

Ein Trafo für das MSR-System

Im Gebäude wurde für die Mess- und Regelungstechnik ein System mit 24 Volt installiert. Viele kleine Transformatoren wurden ausrangiert, um die Energieverluste zu senken. Nur ein einziger Trafo versorgt alle Komponenten des MSR-Systems, das von der Firma Sauter geliefert wurde.

Der ganze Aufwand, all die vielen, vielen Besprechungen, Meetings, Koordinationstelefonate haben sich gelohnt. „Nein, es war keine integrative Planung“, resümiert Forschungsleiter Thomas Bednar. „Es war simultane Planung.“ Idee, Entwurf, Abgleich, Optimierung, Berechnung, Simulation und Koordination: Alles lief in Echtzeit und nebeneinander.

Dazwischen, mit viel Fingerspitzengefühl, lag der Ausgleich der Interessen und der Verweis auf den Nutzen der neuen Erfahrungen. So geriet die Sanierung auch zum pädagogischen Gesamtkunstwerk. In drei Jahren werden alle Beteiligten wissen, ob die Ziele wirklich erfüllt wurden. Dann wollen sie die Messungen kritisch auswerten. Eines hat die Sanierung bereits jetzt erwiesen: Erneuerbare Energien und Energieeffizienz gehören untrennbar zusammen. Den Strombedarf senken, um ihn regenerativ zu decken. Auf diese Weise ergeben sich sinnvolle Konzepte.

https://www.big.at/projekte/tu-wien-institutsgebaeude-bt-ba/

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