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“Das Netz braucht Speicher“

Wie lange kommt die Energiewende noch ohne neue Stromspeicher aus?

Klaus Peter Röttgen: Es ist keine Frage von null oder 100 Prozent. Sondern ob das System grundsätzlich Energiespeicher braucht. Sowohl als Europäischer Speicherverband EASE als auch als Eon Innovation Center Energy Storage denken wir eindeutig: ja. Es sollten Speicherkapazitäten parallel und passend zum Ausbau der erneuerbaren Energien entwickelt werden. Dementsprechend müsste man klein anfangen und dann schrittweise auf die Größenordnung erhöhen, die im Jahr 2030 und später 2050 benötigt wird.

Können Sie konkrete Zahlen nennen?

Zahlreiche Studien kommen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen, je nach Annahme des Szenarios. Wesentlich ist aber, dass nahezu alle Studien mittelfristig signifikanten Bedarf aufzeigen.

Müssten dafür heute die Weichen gestellt werden?

In der Tat. Es gibt unterschiedliche Aufgaben zu erledigen. Einerseits müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen verbessert werden, und andererseits gilt es, technologische Fragen zu klären, zum Beispiel welche Ansätze auch wirtschaftlich darstellbar sind. Eon verfolgt deshalb verschiedene Pilotprojekte. Neben Batterien werden auch Power-to-Gas-Anlagen und Wärmespeicher getestet.

Braucht es einen anderen regulatorischen Rahmen für Speicher?

Energiespeicher sind weder Erzeugungseinheiten noch Verbraucher, und sie transportieren nicht von Ort A zu Ort B. Vielmehr stellen sie eine neue Komponente zur zeitlichen Verschiebung von Energie dar, wofür es einer rechtlichen Anerkennung bedarf. Dabei gilt es, auch branchenübergreifende Synergieeffekte zu realisieren. Das Verständnis für das Thema hat in den vergangenen Jahren zugenommen – nicht nur in Deutsch-land, sondern auf europäischer Ebene insgesamt. Die Bereitschaft, über den Stromsektor hinaus auch Wärme und Gas sowie andere Branchen wie die Mobilität oder Chemie und Stahl mit einzubeziehen, ist immer mehr zu erkennen.

Gibt es nicht zu viele Gesetze für Einzelfälle oder bestimmte Technologien?

Der Gesetzgeber ist gefordert, die neuen Technologien in die Gesetze aufzunehmen. Erdgas- und Pumpwasserspeicher kennt man schon aus der alten Energiewelt. Das neue Marktdesign sollte so gewählt werden, dass das Engagement von Unternehmen und Forschungseinrichtungen nicht am Ende durch Umlagen oder technische Systemrestriktionen gebremst wird. Wesentlich sind gleiche Bedingungen für verschiedene Flexibilitätsoptionen.

Sie haben Ihre Pilotprojekte angesprochen. Welches Fazit ziehen Sie für Batteriespeicherkraftwerke wie auf der Insel Pellworm?

Im Regelfall bieten solche Speicher verschiedene Dienstleistungen an. Nicht alle sind heute schon vom Markt anerkannt. Für Batteriespeicher haben wir rund 30 verschiedene Anwendungen identifiziert. Größere Batteriespeicher ab fünf Megawatt Leistung können sich beispielsweise schon heute am Markt über Ausschreibungen für Regelenergie finanzieren.

Wie sieht es bei anderen Technologien aus?

Bei Wärmespeichern sind einfache Lösungen das Mittel der Wahl, wie beispielsweise ein Warmwassertank. Die sind bereits etabliert und nicht neu. Sogenannte Power-to-Heat-Anlagen entwickeln sich nun verstärkt. Sie machen je nach Preissignal entweder aus Strom oder aus Gas Wärme. In den Niederlanden gibt es beispielsweise sehr liquide Märkte, die diese Anwendung interessant machen.

Eon betreibt eine Power-to-Gas-Anlage in Falkenhagen. Welche Perspektive sehen Sie hier?

Häufig wird gesagt, diese Lösung sei zu teuer. Heute mag das stimmen. Aber die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig, und spätestens ab einem hohen Anteil erneuerbarer Energien werden chemische Speicher für die saisonale Strukturierung großer Strommengen benötigt. Die Alternative dazu ist eine Abregelung von Wind- und Photovoltaikanlagen in großem Umfang. Aber das ist eine kaum wünschenswerte Option, weil dies sehr ineffizient wäre. Denn wenn 80 Prozent des Stroms aus erneuerbarer Energie gewonnen werden sollen, aber nur rund 1.600 Stunden im Jahr zur Verfügung stehen, wären einerseits sehr große Erzeugungskapazitäten notwendig, und andererseits müssten in Defizitzeiten dennoch konventionelle Kraftwerke in großem Umfang laufen.

Gibt es bereits interessante Anwendungen für grünen Wasserstoff, die sich rentieren?

Wasserstoff hat beispielsweise eine Bedeutung in der Chemie, in der Stahlproduktion und in Raffinerien. Alleine bei Letzteren werden jede Stunde mehrere Tonnen Wasserstoff für die Kraftstoffherstellung benötigt, die heute aus Erdgas gewonnen werden. Besser ist es natürlich, Wasserstoff aus Ökostrom herzustellen. Eine Anerkennung dieses grünen Wertes in Bezug auf die Biokraftstoffquote könnte die Bedingungen für Windgas deutlich verbessern. Das ist auch eine Alternative zur Beimischung von Ethanol. Aktuell wird der Ökoenergiecharakter nicht anerkannt, und der so erzeugte Wasserstoff steht eins zu eins im Wettbewerb mit Wasserstoff aus Erdgas, was zunächst preiswerter ist.

Beinhaltet Power to Gas auch eine Methanisierung?

In einer Industriegesellschaft gibt es zunächst Bedarf für die direkte Nutzung von Wasserstoff – und das nicht nur in Deutschland. Das ist die höchste Wertschöpfung und bietet bei Einsatz von grünem Strom in Elektrolysen zudem die Chance zu einer erheblichen Emissionsminderung in unterschiedlichen Branchen. In der Folge ist das beispielsweise auch gut für die Entwicklung der wasserstoffbasierten Mobilität. Der Ansatz der Methanisierung ist nur dann erforderlich, wenn neben diesen Nutzungen alle Einspeisepunkte in das Erdgasnetz in Bezug auf Wasserstoff an ihre Grenzen kommen sollten, was so schnell nicht zu erwarten ist.

Wie sehen Ihre Erfahrungen mit der Einspeisung von Wasserstoff ins Gasnetz aus?

Die Anlage in Falkenhagen liefert zuverlässig Wasserstoff. Eon hat sich dazu verpflichtet, zunächst zwei Prozent bei der Einspeisung ins Gasnetz nicht zu überschreiten. Wissenschaftler beschäftigen sich im Moment aber noch mit dieser Grenze, die derzeit beispielsweise gilt, wenn eine Erdgastankstelle in diesem Netz ist. Denn für die Tanks in Erdgasfahrzeugen gelten entsprechende Grenzwerte beziehungsweise Garantien. Dies stammt aus einer Zeit, in der Power to Gas noch nicht bekannt war. Daher sind die Grenzwerte für verschiedene Anwendungen von Neuem zu betrachten.

Welche Rolle spielen künftig Redox-Flow-Batterien? Sie selbst betreiben eine Pilotanlage auf der Insel Pellworm in Schleswig-Holstein als Hybridspeicher.

Speziell die Redox-Flow-Technik hat die einzigartige Fähigkeit der größeren Kapazität. In Deutschland kann dies nach unserer Auffassung heute noch nicht hinreichend wirtschaftlich genutzt werden. Ökonomische Geschäftsmodelle sind derzeit besonders auf die Primärregelleistung fokussiert, die ein anderes Verhältnis von Leistung zu Energie bedingt. Für andere Märkte wie die USA oder ein künftig neues Marktdesign sieht das möglicherweise anders aus. Wir arbeiten gerade an einer zweiten Phase, in der das mögliche kommerzielle Potenzial der Hybridanlage im Netz und im Verbund mit dezentralen Kleinspeichern sowie mögliche weitere Anwendungen untersucht werden sollen.

Gibt es Pilotanlagen außerhalb von Deutschland?

Durch die Energiewende ist Deutschland ein Schlüsselmarkt. Allerdings ist Eon international aktiv. Wir schauen uns auch andere Länder und Märkte genau an. Dabei geht es nicht allein um Forschung und Entwicklung, sondern auch um kommerzielle Anwendungen. Wir sind auch nicht die Einzigen, die sich beispielsweise die Ausschreibungen im US-Bundesstaat Kalifornien genauer ansehen und prüfen, welche Investitionsmöglichkeiten heute schon gegeben sind.

Werden die Sektoren Strom und Gas sowie Wärme und Mobilität künftig enger zusammenwachsen?

Ganz gewiss. Die Diskussion ist oft zu sehr auf den Strommarkt fokussiert. Wenn man nicht zunehmend Strom bei Netzüberlastung verwerfen will, sind alle Optionen zu prüfen. Strom-, Gas- und Wärmenetze benötigen daher mehr Schnittstellen. Nicht zuletzt durch Power to Heat. Erzeugungsanlagen sind effizient zu nutzen, und eine Windanlage, die steht, ist nicht effizient eingesetzt. Ich wünsche mir daher ein offenes System mit möglichst vielen Brücken. Speicher sind eine neue Komponente, neben Erzeugung, Transport und Verbrauch, die viele dieser Schnittstellen bieten. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sollten deshalb für Innovationen offen sein.

Das Interview führte Niels Hendrik Petersen.

Klaus Peter Röttgen

Der promovierte Geologe leitet das Eon-Innovationszentrum für Energiespeicherung in Düsseldorf. Zudem ist er auch Bereichsleiter bei der Eon Gas Storage in Essen mit Schwerpunkt auf Pumpspeichern, elektrische Speichern, Strom zu Gas und Wärmespeichern. Zusätzlich ist er seit 2011 Präsident der European Association for Storage of Energy, kurz EASE, mit Sitz in Brüssel.

www.ease-storage.eu

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