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Stopp per Gerichtsbeschluss

Mit einer Entscheidung vom 20. September 2010 hat das Oberverwaltungsgericht Münster (OVG) den verbreiteten Glauben an die Genehmigungsfreiheit von Photovoltaik-Dachanlagen erschüttert und damit zugleich eine ganze Branche. Im konkreten Fall ging es um die Errichtung einer Solarstromanlage auf dem Dach einer Reithalle. Die zuständige Baubehörde hat die Nutzung der Solarstromanlage untersagt. Die Argumentation lautete: „Die der Volleinspeisung dienende Solaranlage ist eine gewerbliche Nutzung. Sie führt baurechtlich zu einer sogenannten Nutzungsänderung des bisher ausschließlich landwirtschaftlich genutzten Gebäudes. Die Regelung der Bauordnung über die Genehmigungsfreiheit von Solarstromanlagen auf Dächern erfasst eine solche Nutzungsänderung nicht.“ Genau so sieht es

das OVG. Das ist brisant, denn viele Landwirte haben nicht nur auf Reithallen, sondern vor allem auch auf Scheunen Photovoltaikanlagen errichtet oder ihre Dächer zur Errichtung und zum Betrieb einer Solaranlage verpachtet. Nimmt man das Urteil beim Wort, müssten die Betreiber sie abschalten, sofern sie ohne Baugenehmigung errichtet worden sind. Das würde aus anderen Gründen übrigens auch für die Besitzer von Wohnhäusern mit Solaranlagen gelten.

Nutzungsänderung relevant

Die Entscheidung ist dabei längst nicht so überraschend, wie sie von der Fachwelt aufgenommen worden ist. Die Bauordnung des Landes Nordrhein-Westfalen, im Juristendeutsch BauO NRW abgekürzt, sieht zwar vor, dass die „Errichtung oder Änderungen“ bestimmter baulicher Anlagen keiner Baugenehmigung bedürfen. Dazu gehören „Solarenergie anlagen auf oder an Gebäuden oder als untergeordnete Nebenanlagen“ (Paragraf 65 Nr. 44 BauO). Trotzdem fiel dem OVG die Begründung gerade wegen dieses Wortlautes leicht. Genehmigungsfrei sei nur die „Errichtung oder Änderung“ der Solaranlage als solcher. Das Gesetz erfasse aber nicht die mit der Errichtung der Solaranlage verbundene Nutzungsänderung der Reithalle.

Die Nutzungsänderung sieht das OVG, wie die Baubehörde, darin, dass eine der Volleinspeisung dienende Solaranlage baurechtlich als gewerbliche Nutzung einzustufen ist und die bisherige landwirtschaftliche Nutzung abändert. Mit der Frage, ob diese Sichtweise dem Sinn und Zweck des Gesetzes entspricht oder nicht doch ein anderes Ergebnis gerechtfertigt wäre, hält es sich nicht lange auf. Zu Recht weist es darauf hin, dass die Bauordnung in Fällen, in denen der Gesetzgeber es möchte, die Genehmigungsfreiheit von Nutzungsänderungen ausdrücklich regelt, die mit der Errichtung einer Anlage verbunden sind. Eine solche Regelung gibt es zum Beispiel für Antennenanlagen auf Gebäuden, nicht aber für Solaranlagen.

Nach den Bauordnungen anderer Länder hätte die Entscheidung genauso ausfallen können. Nicht eine einzige Bauordnung sieht vor, dass die mit der Errichtung einer Solaranlage verbundene Nutzungsänderung genehmigungsfrei ist. Es gilt also bundesweit: Die Einspeisung von Solarstrom in das öffentliche Netz ist eine gewerbliche Tätigkeit. Sie führt baurechtlich zu einer Nutzungsänderung, wenn das Gebäude, auf dem die Solaranlage errichtet wird, bisher zu anderen als zu gewerblichen Zwecken genutzt worden ist, zum Beispiel zu Wohn- oder landwirtschaftlichen Zwecken. In diesen Fällen muss und musste auch bisher ein Genehmigungsantrag gestellt werden. Nur ist es für den Bauherrn nicht ganz leicht zu beurteilen, wann er es mit einer Nutzungsänderung zu tun hat. Dies gilt in besonderem Maße für das stets von der nächsten Degressionsstufe bedrohte Photovoltaikgeschäft. Da hält man sich mit solchen Fragen meist nicht lange auf.

Realitätsferne Vorstellungen

Es gibt allerdings ein kleines Schlupfloch. Im Anschluss an die Entscheidung des OVG hat das nordrhein-westfälische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr darauf hingewiesen, dass keine Nutzungsänderung vorliege, wenn die Solaranlage überwiegend, also zu über 50 Prozent, dem Selbstverbrauch diene. Es geht davon aus, dass dies bei Anlagen auf Wohngebäuden die Regel sei. Scheinbar soll Solaranlagenbetreibern damit die Sorge vor einer Nutzungsuntersagung genommen werden. Leider entspricht diese Einschätzung des Ministeriums nicht der Realität, denn 50 Prozent Eigenverbrauch können Haushalte ohne Stromspeichersysteme kaum erreichen. Auch ist die „50-Prozent-Regel“ schwer handhabbar. Zu welchem Zeitpunkt muss die Relation zwischen Selbstverbrauch und Einspeisung vorliegen, auf welchen Zeitraum ist sie anzuwenden? Wer beurteilt und überprüft das Vorliegen der Voraussetzung? So scheint die als Auslegungshilfe gedachte Vorgabe des Ministeriums mehr Fragen aufzuwerfen, als Antworten zu geben.

Andere Landesbauordnungen als die nordrhein-westfälische führen nicht erst über die Nutzungsänderung zur Genehmigungspflicht von Solarenergieanlagen auf Dächern. Sie regeln, dass „Anlagen der technischen Gebäudeausrüstung“, insbesondere Solarenergieanlagen und Sonnenkollektoren, genehmigungsfrei sind. Nach der Konzeption dieser Landesbauordnungen sind Anlagen der technischen Gebäudeausrüstung aber nur solche Anlagen, die dem Gebäude selbst dienen. Dem Gebäude selbst dient aber nur die Solarstromerzeugung zum Selbstverbrauch, nicht aber die Stromerzeugung zur Einspeisung in das Netz. Die Errichtung von Solarstromanlagen zur Einspeisung in das Netz ist also schon deswegen genehmigungspflichtig, weil es sich nicht um die Errichtung von Anlagen der technischen Gebäudeausrüstung handelt.

Besondere Vorsicht ist auch bei der Errichtung von aufgeständerten Solaranlagen auf Flachdächern geboten. Nach fast allen Bauordnungen sind Solarenergieanlagen „an oder auf“ Gebäuden genehmigungsfrei. Zum Teil wird „an oder auf“ aber so verstanden, dass die Solaranlagen im klassischen Sinne in oder auf dem Dach installiert sein müssen. Aufgeständerte Anlagen auf Flachdächern gelten als genehmigungspflichtig, da sie nicht „auf“ dem Gebäude errichtet werden. Bauämter begründen den Sinn der Genehmigungspflicht damit, dass bei aufgeständerten Anlagen wegen der besonderen Schnee- und Windlasten die Dachkonstruktion einer individuellen statischen Prüfung unterzogen werden müsse. Der Wortlaut des Gesetzes gibt das nicht unbedingt her. So erklärt es sich, dass aufgeständerte Anlagen bei gleichem Gesetzeswortlaut genehmigungsrechtlich von Land zu Land oder gar von Baubehörde zu Baubehörde unterschiedlich behandelt werden. Zu den wenigen Ländern, die hier bereits Klarheit geschaffen haben, gehört das Land Brandenburg. Die Genehmigungsfreiheit von aufgeständerten Anlagen auf Flachdächern ist ausdrücklich geregelt und auf Anlagen einer bestimmten Höhe und Größe beschränkt.

Kein Grund zur Panik

Sowohl für den Anlagenbetreiber als auch für den Gesetzgeber stellt sich angesichts dieses Flickenteppichs aus Rechtsvorschriften und Auslegungsvarianten die Frage, was zu tun ist. Anlagenbetreiber, die die Errichtung einer neuen Anlage planen, sollten vorab das zuständige Bauamt aufzusuchen und sich nach der Genehmigungspflichtigkeit der Solarstromanlage erkundigen. Betreiber bestehender Anlagen werden sich nach der Entscheidung des OVG Münster Sorgen wegen einer bevorstehenden Nutzungsuntersagung machen. Darüber, wie begründet diese Sorge ist, kann nur spekuliert werden. Rechtlich wäre ein flächendeckendes Vorgehen im Zuständigkeitsbereich des jeweiligen Bauamtes erforderlich, um eine Gleichbehandlung aller Anlagenbetreiber zu gewährleisten. Nur reichen für derartige Aktionen die behördlichen Kapazitäten wohl kaum aus. Außerdem stellt sich die Frage, ob sie politisch opportun sind.

Ein Anlagenbetreiber, dem tatsächlich die Nutzung seiner Solaranlage untersagt wird, sollte zweigleisig vorgehen. Zunächst muss er die rechtlich erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Das kann ein Widerspruch sein oder sogar ein Antrag bei Gericht. Parallel dazu sollte er den persönlichen Kontakt zur Behörde suchen. Die Behörde hat in der Regel kein Interesse daran, Solaranlagen zu verhindern, sondern möchte die Form gewahrt sehen. Der rechtliche Konflikt lässt sich also dadurch lösen, dass der Anlagenbetreiber nachträglich einen Bauantrag stellt. Vielleicht geht es aber auch ohne: Sachsen hat im Hinblick auf eine anstehende Gesetzesänderung die Genehmigungspflicht für Solarstromanlagen zur Einspeisung in das Netz ausgesetzt. Das Beispiel sollte Schule machen.

Sonderfall Sachsen

Sachsen gehört zu den Ländern, in denen Solaranlagen auf Dächern nur dann keiner Baugenehmigung bedürfen, wenn es sich dabei um Anlagen der technischen Gebäudeausrüstung handelt. Solaranlagen zur Einspeisung in das öffentliche Stromnetz sind deswegen in jedem Fall genehmigungspflichtige Anlagen. Die damit verbundene bürokratische Hürde will Sachsen nun abbauen. Die Regierung hat einen entsprechenden Gesetzesentwurf in den Landtag eingebracht. Wie weit der Abbau der bürokratischen Hürden wirklich reicht, wird sich zeigen, sobald der Gesetzestext öffentlich ist. So ist noch nicht bekannt, ob er nur auf die Verknüpfung von Genehmigungsfreiheit und technischer Gebäudeausrüstung verzichtet oder etwa auch die mit der Errichtung einer Solarstromanlage verbundene Nutzungsänderung erfasst. Auch eine Regelung über den Umfang der Genehmigungsfreiheit aufgeständerter Solaranlagen wäre hilfreich.

Aus der Perspektive der Solaranlagenbetreiber sollten auch andere Landesgesetzgeber ihre Bauordnungen unter dem Gesichtspunkt der Genehmigungsfreiheit von Solaranlagen an oder auf Gebäuden überarbeiten. Inhaltlich sollten sie die Genehmigungsfreiheit von Anlagen zur Volleinspeisung und die von aufgeständerten Anlagen absichern. Das lässt sich durchaus rechtfertigen. So gibt es eine ganze Reihe baulicher Anlagen, für die nach dem Gesetz kein vollständiges Baugenehmigungsverfahren durchgeführt werden muss. Der gesetzliche Verzicht auf ein Baugenehmigungsverfahren oder dessen Erleichterung ersparen dem Planer nicht gründliche und unter Umständen umfangreiche statische Berechnungen. Im Gegenteil, der Planer haftet in vollem Umfang für etwaige Fehler. Die Baubehörde ist von jeder Verantwortung frei.

Schließlich ist es wünschenswert, die Genehmigungsfreiheit auf eine mögliche Nutzungsänderung des Gebäudes zu erstrecken, auf der die Solaranlage errichtet wird. Der völlig unkontrollierten Errichtung von Solaranlagen auf Dächern könnte durch die Beschränkung der Genehmigungsfreiheit auf bestimmte Anlagengrößen vorgebeugt werden.

Dies gilt etwa für aufgeständerte Anlagen auf Flachdächern oder für die mit der Errichtung der Solaranlage verbundene Nutzungsänderung.

Margarete von Oppen

ist Partnerin der Rechtsanwaltssozietät Geiser & von Oppen. Die Sozietät berät Unternehmen, Verbände und öffentliche Hand in den Bereichen erneuerbare Energien, energieeffizientes Bauen und Komponentenhandel. Die Beratung umfasst sowohl die branchenspezifischen Spezialfragen als auch das klassische Gesellschafts- und Zivilrecht.

Margarete von Oppen