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Wie ein Bild ohne Rahmen

In einer Sache waren sich wohl alle 100 Anwesenden der zweitägigen Solar-Turkey-Konferenz im Dezember in Istanbul einig: Bei der geographischen Lage und dem meteorologischen Klima könnte die Türkei ein wichtiger Player im internationalen Photovoltaikmarkt werden. Wenn sich aber das politische Klima nicht bald ändert, könnte die Türkei ihre Chance auf einen funktionierenden Markt verpassen. Das glaubt auch Nikolai Dobrott, Geschäftsführer der deutschen Unternehmensberatung Apricum, spezialisiert auf erneuerbare Energien. „Die Lichtbedingungen hier sind genauso gut wie in Spanien oder Griechenland“, sagt Dobrott. Allein, das Potenzial bleibt weitgehend ungenutzt. Es gibt zwar zahlreiche einfache solarthermische Anlagen, die die Haushalte mit warmem Wasser versorgen, aber das hilft nicht viel, wenn ein attraktives Fördergesetz für Solarstrom fehlt. Bisher gibt es 5,5 Eurocent pro Kilowattstunde. Durch einen besseren Fördersatz könnte eine lokale Nachfrage nach Solarstrom entstehen. Und das, glaubt Dobrott, „ist die Voraussetzung dafür, dass lokale Hersteller in der Türkei Produktionsstätten errichten. Lokale Nachfrage und lokale Produktion sind wiederum Grundvoraussetzung für das Entstehen eines erfolgreichen Marktes.“

Damit das geschieht, müsse das Fördergesetz jetzt schnellstens auf den Weg gebracht werden. Ansonsten verpasse die Türkei eine Riesenchance, denn „bisher liegen die Kapazitäten bei null“, so der Unternehmensberater. Ganz ähnlich schätzt Levent Gülbahar von Anel Group, dem größten türkischen Solarinstallationsunternehmen, die Lage ein. „Wir brauchen eine Förderung, ansonsten haben wir verloren“, glaubt der Chef der Abteilung Business Development. „Wir sind das energiehungrigste Land Europas.“

Nach Schätzung des staatlichen Stromversorgers EÜAS ist mit einer Verdopplung der Nachfrage auf etwa 440.000 Gigawattstunden bis ins Jahr 2020 zu rechnen. Die Kraftwerkskapazitäten müssten dafür von knapp 42.000 Megawatt auf rund das Doppelte erhöht werden. „Bereits heute werden 67 Prozent der Energie in Form von Öl, Kohle oder Gas importiert.“ Gülbahar warnt vor zu großer Abhängigkeit von den rohstoffexportierenden Ländern. Deswegen gehe sein Unternehmen mit gutem Beispiel voran. Vor kurzem erhielt Anel Group die Genehmigung für den Bau einer ersten Photovoltaikanlage im türkischen Teil der Insel Zypern mit einer Kapazität von 1,3 Megawatt, finanziert von der EU-Kommission. Die Anel Group könnte der Wegbereiter für einen eigenständigen Binnenmarkt werden. „Wir wollen eine Produktionslinie mit einer Kapazität von 13,5 Megawatt errichten“, sagt Gülbahar.

2010 soll begonnen werden. „Und bis 2012 wollen wir auf 60 Megawatt jährlich erhöhen.“ Die Vorhaben der Anel Group bleiben ein Einzelbeispiel, „dem andere Unternehmen wohl erst mit einem attraktiven Fördergesetz folgen werden“, glaubt Mehment Özer, der Präsident des türkischen Photovoltaikverbandes Güne?e. „Wenn alles gut läuft, könnten wir Ende 2010 ein Fördergesetz haben. Dann vergeht bestimmt noch einmal ein Jahr, bis die ersten Lizenzen vergeben sind.“ Die ersten Anlagen würden voraussichtlich frühestens im Jahr 2012 installiert werden können. Tanay Sidki Uyar, der Vizepräsident von Eurosolar, stimmt zu. „Die Behörden und politischen Entscheidungsträger bevorzugen fossile und nukleare Energieformen.“ Da sie die Photovoltaik nur schwer einschätzen könnten, „befürchten sie eine Verschwendung öffentlicher Gelder“. Der neue Fördersatz für Solarstrom könnte zwischen 20 und 25 Eurocent pro Kilowattstunde liegen.

Es wird nicht einfach

Doch auch damit gebe es noch viele Hürden, sagt Hans-Joachim Garms, Senior Advisor bei Apricum. Zum Beispiel mit der Infrastruktur. „Durch das Anschließen von PV-Anlagen kann die Stabilität des Stromnetzes gefährdet werden“, glaubt Garms. „Ich schätze, dass noch erhebliche Summen in die Aufrüstung des Netzes gesteckt werden müssen.“ Es gibt noch weitere Sorgenkinder: Laut Orhan Yvuz Mavioglu, Anwalt beim ADMD Law Office, brauchen Anlagen ab einer Kapazität von 500 Kilowatt eine Lizenz. „Die Mühlen der türkischen Bürokratie mahlen langsam. Hinzu kommt das Problem der Korruption“, sagt Mavioglu. Er hat damit schon beim Verlegen von Telefonkabeln einschlägige Erfahrungen gesammelt. Richtig katastrophal werde es beim Kauf von Land. „Vor allem bei staatlichem Land muss man vorsichtig sein“, so der Anwalt. Da es kein Register gibt, weiß niemand, welches Projekt für welches Stück Land vorgesehen ist. „Da könnte es sein, dass Sie mehrere Millionen in die Installation Ihrer Anlage investiert haben und plötzlich jemand mit Minenrechten an Ihre Tür klopft.“

„Wir haben noch einen langen Weg vor uns“, glaubt Mustafa Kologlu, General Sales Manager von Schott Cam Ticaret, der türkischen Tochter von Schott Solar. „Wenn die Leute hier Solar hören, denken sie an Wasser.“ Seine Kollegen und er betreiben viel Aufklärungsarbeit bei den politischen Entscheidern. „Für die ist das alles sehr neu. Wir von der Industrie wissen, was wir wollen.“ Kologlu sagt es so: „Es gibt ein Bild, aber noch keinen Rahmen, um es aufzuhängen.“ Da verwundert es nicht, dass Politiker ihr Fehlen auf der Konferenz mit der Klimakonferenz in Kopenhagen oder der Schweinegrippe erklärten.

Markus Grunwald

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