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Die Chancen der Fläche

B eton und sandige Brachen, dazwischen die blinden Höhlen verwitterter Plattenbauten: Bis 1994 donnerten die Sowjets durch die beschauliche Stille der Uckermark. Krachend warfen die Jets die Nachbrenner rein, donnerten im Tiefflug über die Wälder und Seen. Ihr wichtigster Stützpunkt war das Aerodrom in Groß Dölln. „Die Landebahn war 60 Meter breit, dort konnten zwei MiGs gleichzeitig starten“, erzählt Ulrich Mertens. „Die Maschinen standen in Hangars aus Betonschalen, die mit Gras überwachsen waren. In den Plattenbauten wohnten die Offiziere.“ Sogar die weltgrößten Frachtvögel aus den Antonow-Werken konnten hier landen, Truppen und Jagdjets in den bauchigen Rümpfen.

Nun hausen darin die Fledermäuse, und nichts stört mehr die Stille. Groß Dölln liegt am Nordrand der Schorfheide, seit der Wende einer der größten Naturparks des wiedervereinigten Deutschlands. Nur manchmal brummen die Motoren von Testwagen und Motorrädern auf dem nahe gelegenen Driving-Center, wo die Industrie ihre neuen Modelle testet und Motorradklubs kitzlige Fahrtrainings absolvieren. „Seit die Sowjets verschwunden sind, wurde viel versucht, um diese Wüste zu beleben“, erzählt Mertens. „Aber nichts hat funktioniert. Bis zum Frühjahr 2012, als wir die Kaufverträge für die Grundstücke unterschrieben.“ Belectric erwarb rund 1.400 Hektar. Davon gehören heute rund 308 Hektar zur Bebauungsplanfläche und 202 Hektar zu der Fläche, die die Modulfelder einzäunt. Die Module selbst bedecken etwa 109 Hektar. Belectric übernahm das Gelände mit allen Bunkern, Zisternen, Wohnblocks, Hallen und dem Flugfeld.

Mertens ist Projektmanager bei Belectric. Der Stammsitz des Unternehmens befindet sich im fränkischen Kolitzheim. Belectric baut überall auf der Welt große Solarkraftwerke. Mertens gehört formal zur Außenstelle in Leipzig. Sein Job: das größte Solarkraftwerk Europas planen und durchboxen. Durch alle Instanzen, gegen alle Widerstände, mit allen verfügbaren Partnern.

Ein lebendiges Beispiel

Mertens selbst ist das lebendige Beispiel, wie die Solarenergie neue Wertschöpfung in die Regionen bringt. Der 58-Jährige hat zu DDR-Zeiten in der Ingenieurschule in Fürstenwalde studiert. Die DDR gibt es nicht mehr, auch die Ingenieurschule nicht. Seinen Abschluss als Meliorationsingenieur kennt heute auch keiner mehr. Melioration, dahinter verbargen sich die Bewässerungsprojekte der volkseigenen Landwirtschaft. „Das bedeutete vor allem Bauleitung, also Projektleitung“, erinnert er sich. „Und genau das mache ich jetzt auch. Ich leite das Projekt auf politischer und administrativer Ebene, mit dem eigentlichen Bau der Anlage habe ich eher wenig zu tun.“ Mertens stammt aus der Prignitz, das ist eine andere Ecke in Brandenburg. Sein Arbeitsgebiet reicht von Berlin bis an die Ostseeküste. Er hat gut zu tun, auch wenn die Solarkraftwerke künftig kleiner werden.

1,5 Millionen Dünnschichtmodule

Nach langem Vorlauf übernahm Belectric Anfang 2012 den alten Flugplatz, um hier acht Solarfelder mit insgesamt 128 Megawatt Leistung aufzubauen. Groß Dölln – das war damals eine riesige Wunde inmitten herrlicher Natur. Nun ist es das Vorzeigeobjekt der Energiewende. Wenn Anfang August die feierliche Einweihung begangen wird, hat der Erfolg bestimmt sehr viele Väter.

Denn in nur vier Monaten wurden 1,5 Millionen Solarmodule installiert. Geliefert hat sie First Solar, es sind die letzten Module, die in Frankfurt (Oder) vom Band liefen, 120 Kilometer entfernt. Für die Russen wären es drei Flugminuten gewesen. Für das Land Brandenburg ist es der Spagat zwischen den Opfern politischer Fehlentscheidungen und den Chancen, die sich gerade für das flächenreichste unter den neuen Bundesländern bieten. Das Werk hat dichtgemacht, nun stehen die Bänder still. Aber das gigantische Sonnenkraftwerk stromt. Blau glänzen seine Solarmodule unterm Himmel, an dem vor zwei Jahrzehnten die Sowjets noch ihre Schleifen zogen. „Insgesamt 400 Leute waren am Bau beteiligt“, erzählt Ulrich Mertens, der das riesige Areal wie seine Westentasche kennt.

Seit 2008 ist er bei Belectric, hat mit kleinen Kraftwerken von einem Megawatt angefangen. Es folgten die Solarkraftwerke in Bochow und in Alt-Daber bei Wittstock mit 29 und 68 Megawatt. „Weil das so gut geklappt hat, übernahm ich auch diese Baustelle“, erzählt er rückblickend. „Nun ist der Netzanschluss erfolgt. So ein Mammutprojekt funktioniert nur, wenn man ein gutes Team und die richtigen Partner hat.“

Das Solarkraftwerk in Groß Dölln beweist, welche Potenziale in der Photovoltaik schlummern. Vor allem in den großen Solarkraftwerken, die bei der letzten Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im vergangenen Jahr aus der Förderung genommen wurden. Sonnenstrom statt Brache.

Jobs statt Nichts

Jobs statt gähnendem Nichts. Dennoch wurden die verfügbaren Flächen dramatisch eingeschränkt. Auch Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) in Potsdam nickte die Novelle ab – wohl wissend, dass damit das Modulwerk in Frankfurt auf der Kippe steht. Denn First Solar fertigte seine Module fast ausschließlich für große Solarkraftwerke. So gingen in Frankfurt die Lichter aus, in Groß Dölln hingegen gingen sie an. Mit einer Investitionssumme von ungefähr 200 Millionen Euro erreicht dieses Kraftwerk nicht nur in der Photovoltaik die geringsten Kosten, auf die Kilowattstunde bezogen. Auch im Vergleich zur Windkraft oder den fossilen Kraftwerken sind diese Kosten unschlagbar. Pro Jahr erzeugt das Großkraftwerk Groß Dölln rund 120 Millionen Kilowattstunden sauberen Strom. Das entspricht dem Bedarf von 36.000 Haushalten. Jährlich werden auf diese Weise rund 90.000 Tonnen Kohlendioxid vermieden.

Einspeisung mit 110 Kilovolt

Weil die Leistung des Groß Döllner Solarkraftwerks über die Mittelspannung nicht ins Netz gedrückt werden konnte, erhielt es ein eigenes Umspannwerk von 20 Kilovolt auf 110 Kilovolt Hochspannung. Insgesamt 114 Großwechselrichter (SC 900 CP) von SMA stehen zwischen den Modulreihen. Acht Mittelspannungsstationen sammeln die 20-Kilovolt-Leitungen von den Wechselrichtern ein und führen sie zur Umspannstation. „In 26 Kilometern Entfernung steht eine weitere Umspannstation, über die Eon Edis den Solarstrom ins Netz einspeist“, erläutert Ulrich Mertens. „Dieser Netzknoten soll auf 380 Kilovolt ausgebaut werden.“

Die Wechselrichter sind in der Lage, Überlastungen im Netz zu erkennen und als Phasenschieber zu arbeiten. Das heißt, sie verschieben die Wechselspannung und den Wechselstrom gegeneinander. Auf diese Weise sinkt die Gesamtleistung im Netz, es wird entlastet. Man spricht von Blindleistungseinspeisung, die ein solcher Wechselrichter sogar nachts ermöglicht. Die Technik wurde erstmals in einem Solarkraftwerk in Bayern entwickelt und getestet.

Nun bietet sie die Chance, die Kosten für den Ausbau der Netztrassen um etliche Milliarden zu drücken. Soll heißen: Eigentlich braucht Deutschland viel mehr Solarkraftwerke wie dieses, nicht weniger. Nur dann sind die Kosten für den Netzausbau überhaupt beherrschbar.

Das gilt vor allem für Brandenburg, der großen Sandkiste zwischen der See und Berlin. Es ist das Land mit den meisten militärischen Hinterlassenschaften des Kalten Krieges. Als die Sowjets abgezogen waren, hängte der Bund ein Schloss vor die Zufahrten und überließ den Rückbau den Bundesländern.

Das Erbe des Kalten Krieges

Brandenburg hat aber noch ein zweites Erbe, das ihm schwer auf der Tasche liegt: Im Süden und Südosten wühlen sich gigantische Schaufelradbagger durch den Sand. Dort holt der schwedische Energieriese Vattenfall noch immer die Kohle aus dem Tagebau, als wäre die DDR niemals verschwunden. Zurück bleiben Mondlandschaften, die das russische Erbe um ein Vielfaches übertreffen. Die Landesregierung in Potsdam wähnt sich am Tropf des Bergbaus, bekennt sich wohl deshalb nur halb zur Sonnenenergie. Zu viele Brachen, zu wenig Konzepte.

Das alte Flugfeld in Groß Dölln ist keine Brache mehr. Im Schatten der Modultische kehrt die Natur zurück: Gräser, Büsche, Vögel und Eidechsen. Für die Montage der Module hat Belectric ein eigenes System entwickelt. Die verzinkten Stahlpfosten der Untergestelle wurden in den weichen, märkischen Sand gerammt, das Erbe der Eiszeit. Das Erbe der Russen – harter Beton auf der ehemaligen Landebahn und dem sogenannten Taxiway der MiGs – blieb unangetastet. Die Modultische dort wurden mit der Betondecke verschraubt.

Mehr als 470 Kilometer Kabel

Die Querbalken bestehen aus Holz, weil es sich kaum ausdehnt und die Module thermisch von der stählernen Unterkonstruktion trennt. Dadurch gibt es kaum Verspannungen. Auf den Balken liegen Hohlprofile aus Aluminium, die die rahmenlosen Dünnschichtmodule aufnehmen.

Immer zehn Module liegen im Querformat übereinander, immer 15 Module nebeneinander bilden eine Einheit. Pro String sind also 15 Mal zehn Module verkabelt. Manche Modulreihen sind 800 Meter lang. Die Module wurden mit 15 Grad aufgeständert. Verbaut wurden die Solarmodule FS 382 (82,5 Watt), FS 385 (85 Watt) und FS 387 (87,5 Watt). Pro Bauabschnitt wurden rund 40 Kilometer DC-Verkabelung verlegt, macht 320 Kilometer in der Summe. Die Sammelkabel für den Wechselstrom summieren sich auf mehr als 150 Kilometer. In acht Bauabschnitten wurde das Solarkraftwerk errichtet.

Zunächst wurden Altlasten gesichtet: Müll einer Verbrennungsanlage, die irgendwann einmal im Gespräch war, aber nie gebaut wurde. Kerosin, das unterhalb der Bodendecke in großen Tanklagern schwimmt und abgepumpt werden muss. Und die militärischen Hinterlassenschaften: „Wir haben mehr als eine Tonne Kampfmittel aus dem Sand geholt“, berichtet Ulrich Mertens. „Darunter waren 233 Kilogramm Munitionsschrott.“ Vier Mal rückten die Sprengkommandos an, um Granaten, Bomben und Minen in die Luft zu jagen. All diese Kosten sind in der Investitionsplanung von Belectric enthalten. „Man weiß vorher nie, wie teuer das wird“, sagt Ulrich Mertens. „Die Kosten reichen von einem halben Euro bis zu vier Euro pro Quadratmeter. Wir haben die gesamte Fläche beräumt.“ Alle anderen Ideen – aus der Zeit nach den Russen, aus der Zeit vor dem Solarkraftwerk – waren daran gescheitert.

Eine ehemalige Montagehalle für russische Kampfjets hat Belectric zum Lager und zur Vormontage der Gestelle umfunktioniert, die Techniker parken darin ihre Autos und die Servicegeräte. Hinter der grünen Halle steht das Umspannwerk mit mächtigen Transformatoren. Deutlich hörbar summen die Spulen, übertönt vom Zirpen der Grillen. Zwei Jahrzehnte dauerte es, bis das Erbe der Sowjets getilgt wurde. Ein kühnes Projekt, in vier Monaten aufgebaut. So schnell kann sich das Blatt wenden.

Auf einen Blick

Vorteile durch Megawattparks

  • Wirtschaftliche Verwertung von Brachen und Risikoflächen
  • Regionale Wertschöpfung beim Bau und beim Betrieb der Anlagen
  • Sehr niedrige Gestehungskosten für sauberen Strom
  • Einspeisung in Mittelspannung oder Hochspannung
  • Entlastung der Stromnetze durch intelligente Wechselrichter (Blindleistung)
  • Senkung der Kosten für den Netzumbau.

Kurz nachgefragt

„Die günstigste Art der Strom- erzeugung.“

Wie hoch waren die Investitionen für den Solarpark?

Martin Zembsch: Das Investitionsvolumen für das Solarkraftwerk in Groß Dölln betrug ungefähr 200 Millionen Euro.

Wie haben Sie die Finanzierung gestemmt? Welche Partner waren dabei im Boot?

Für die Finanzierung des Solarkraftwerks hatten wir verlässliche Partner an unserer Seite. Die Fremdkapitalfinanzierung wurde durch ein Bankenkonsortium unter der Führung der Bayern LB und der Uni Credit dargestellt. Das Solarkraftwerk wurde an den langjährigen strategischen Partner Commerz Real veräußert, der über einen Fonds das notwendige Eigenkapital eingesammelt hat.

Wenn Sie sich die Kosten des Solarparks anschauen: Wie viel Geld floss in das Grundstück, in die Projektplanung, in die Beseitigung der Altlasten und in den eigentlichen Kraftwerksbau?

Ungefähr ein Viertel der Gesamtkosten entfiel auf den Erwerb des Grundstücks, die Projektplanung sowie die Beseitigung von Altlasten auf dem ehemaligen Flugplatz. Der übrige Teil floss direkt in die Bau- und Personalkosten.

Welche Rolle können solche großen Solarparks in der Energiewende künftig spielen?

Solarkraftwerke der neuesten Generation können dank der integrierten dynamischen Blindleistungsregelung die Stabilität der Stromnetze enorm verbessern. Dadurch kann mehr Strom in den bestehenden Netzen transportiert, Netzausbau reduziert und schließlich der Verbraucher erheblich bei seinen Stromkosten entlastet werden. Dezentrale Solarkraftwerke werden eine entscheidende Rolle beim zukünftigen Strommarktdesign in Deutschland spielen. Strom aus diesen Kraftwerken ist die günstigste Art der Stromerzeugung aus Solarenergie und liegt bereits auf dem Niveau von Onshore-Windkraftanlagen sowie vieler konventioneller Energieerzeuger.

Das Gespräch führte Heiko Schwarzburger.

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