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Auf schwachen Füßen “Dann lehnen wir den Auftrag ab“

Asbest ist krebserregend und verursacht Asbestose, die die Lunge verklumpen lässt. Um das Material sollte man daher einen weiten Bogen machen und den Kontakt mit der tödlichen Faser auf jeden Fall vermeiden. Das ist allerdings nicht immer ganz so einfach. Viele deutsche Dächer wurden in den 60er, 70er und 80er Jahren mit Schindeln oder Wellplatten aus Asbestzement gedeckt: Wohnhäuser, Gewerbehallen, Ställe und Nebengebäude landwirtschaftlicher Betriebe. Die „Wunderfaser“ galt damals als billig, leicht zu verarbeiten und sehr langlebig.

Unternehmer, Landwirte oder Privatleute, die eine Photovoltaikanlage auf einem Dach installieren wollen, stehen daher womöglich vor einer schwierigen Frage: Asbest oder nicht? Für den Laien ist das nicht einfach zu beantworten, denn 20, 30 oder gar 40 Jahre alte Dächer sind stark verwittert. Zudem sehen asbesthaltige Schindeln oder Wellplatten nicht viel anders aus als unbedenkliche Konkur renzprodukte. „Diese Frage muss aber auf jeden Fall geklärt werden, bevor eine Photovoltaikanlage installiert wird“, sagt Georg Voswinckel von der Freiburger Handwerkskammer.

Denn die Gesetzeslage in Deutschland ist eindeutig: Seit 1993 sind in Deutschland Herstellung und Verwendung, Verkauf und Verarbeitung asbesthaltiger Produkte verboten, und 1995 floss das Verbot auch in die Gefahrstoffverordnung ein. Unter der verbotenen „Verwendung“ definiert sie nicht nur das Eindecken neuer Dächer mit Asbestzement, sondern auch die Nutzung alter Flächen. „Die Errichtung einer Photovoltaikanlage auf einem Asbestzementdach als Unterbau ist grundsätzlich verboten, da es sich um eine Verwendung eines asbesthaltigen Erzeugnisses handelt“, stellt das niedersächsische Gesundheitsministerium in einem Erlass vom Februar 2007 nochmals klar. Das gilt auch dann, wenn das Dach noch relativ neu ist oder für die Photovoltaikanlage beispiels weise mit Teerpappe verstärkt wird. Wer die betroffenen Objekte saniert, muss dann vor allem den Arbeitsschutz einhalten, wie er in der Technischen Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 519 geregelt ist. Sie soll den Schutz der Beschäftigten vor Asbeststaub bei allen Abbruch-, Sanierungs- oder Instandhaltungsarbeiten sicherstellen.

Illegale Anlagen

Obwohl Gesetzeslage und Gesundheitsgefahren bei Hauseigentümern und Bauhandwerkern bekannt sein sollten, werden Photovoltaikanlagen immer häufiger illegal auf alten Asbestdächern installiert. „2007 gab es recht viele solcher Fälle“, sagt auch Herbert Pfaff-Schley vom Umweltinstitut Offenbach, der in Kontakt zu etlichen Gewerbeaufsichtsämtern steht. Zum Teil kam es dabei zu Unfällen auf nicht durchtrittsicherem Unterbau, meist wurde ohne jeglichen Arbeitsschutz gebohrt, genagelt und gehämmert. „Es gibt Handwerker, die haben noch nie von der Gefahrstoffverordnung gehört“, wundert sich Pfaff-Schley. Wer erwischt wird, muss mit Anzeige und Bußgeld rechnen – das gilt sowohl für den Eigentümer als auch für den ausführenden Betrieb. Außerdem verliert die Firma, wenn sie ohne Sachkundenachweis und Genehmigung auf einem Asbestdach arbeitet, jeglichen Versicherungsschutz.

Ausnahmen möglich

Allerdings ist unter bestimmten Umständen doch Photovoltaik auf Asbestdächern möglich. Das niedersächsische Gesundheitsministerium hat mit dem Erlass vom vergangenen Jahr als erste Behörde auf das Problem der illegalen Installation von

Anlagen reagiert. Vor dem Hintergrund, „dass 2007 eine zunehmende Zahl solcher Vorhaben zu verzeichnen war“, legt das Ministerium in dem Papier erstmals dar, unter welchen Voraussetzungen eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden kann. Denn laut Gefahrstoffverordnung sind Ausnahmen dann möglich, wenn das Verbot „im Einzelfall zu einer unverhältnismäßigen Härte führen würde und die Abweichung mit dem Schutz der Beschäftigten vereinbar ist“.

Eine unverhältnismäßige Härte liegt laut Erlass dann vor, wenn die Photovoltaikanlage nach aller Voraussicht Gewinn abwerfen wird, das Dach nachweislich über die gesamte Lebensdauer der Module (bis zu 30 Jahren) standhält, das Gebäude weiterhin bewohnt oder bewirtschaftet wird und asbestfreie Ausweichflächen nicht zur Verfügung stehen. Die Arbeiten auf dem Dach dürfen dann nur von Fachbetrieben mit Sachkundenachweis ausgeführt werden und nur mit Hilfe von Verfahren, die möglichst wenig Fasern freisetzen. Den Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung muss die Firma beim zuständigen Gewerbeaufsichtsamt stellen und neben dem Sachkundenachweis unter anderem auch eine Montageablaufplanung und eine Beurteilung der möglichen Gefährdung durch den Asbest vorlegen.

Die Sache ist für die Behörden ein schwieriger Spagat. Denn einerseits macht die Gefahrstoffverordnung zwar Ausnahmen vom Verbot, andererseits ist die Arbeit auf Asbestdächern gesundheitsschädlich und grundsätzlich verboten.

„Eine Reihe von Bundesländern hat unsere Regelungen sinngemäß übernom men, in anderen Ländern werden nach wie vor grundsätzlich keine Ausnahmegenehmigungen erteilt“, teilt das niedersächsische Gesundheitsministerium auf Anfrage mit.

Tatsächlich sind die Reaktionen recht inhomogen. In Hessen ist es wegen der hohen Anforderungen zum Beispiel recht schwierig, eine Ausnahmegenehmigung zu erhalten. Ebenfalls in Bayern. „Da es sich bei Photovoltaikanlagen um hochwertige und langlebige Güter handelt, ist deren Installation auf mittelfristig zu sanierenden Asbestzementdächern nicht sinnvoll und kann daher nicht genehmigt werden“, schreibt die Gewerbeaufsicht der Regierung der Oberpfalz in einem Merkblatt. Auch das Regierungspräsidium Freiburg habe intern die Weisung erteilt, keine Ausnahmegenehmigungen zu vergeben, sagt Voswinckel.

Herr Godard, seit wann kennen Sie das Problem mit Asbestdächern?

Seit es das Verwendungsverbot für Asbest in Deutschland gibt, also seit 1993. Damals wurde mir bewusst, wie gefährlich es ist, auf Asbestdächern zu arbeiten. Wenn ich mich recht erinnere, haben wir in den ersten Jahren zwei Anlagen auf solchen Dächern gebaut, eines davon wurde später saniert. Spätestens seit es die TRGS 519 gibt, war mir klar, dass man von dem gefährlichen Material die Finger lassen sollte.

Welche Dächer in Deutschland sind eigentlich noch mit Asbest gedeckt?

Wir haben zum einen recht häufig asbesthaltige Wellplatten im Gewerbe, aber auch auf öffentlichen Gebäuden wie Schu Pfaff-Schley vom Umweltinstitut Offenbach glaubt, dass der niedersächsische Erlass die Arbeiten auf Asbestdächern in legale Bahnen lenken wird. Das Papier habe „eine praktikable Vorgehensweise zur Errichtung von Photovoltaikanlagen auf Asbestdächern bestimmt“, urteilt er. Die mehrtägigen Lehrgänge seines Instituts, bei denen Dachdecker und Installateure die notwendige Sachkunde nach TRGS 519 erwerben können, sind jedenfalls seit 2007 gut gefüllt.

Rentabilität zweifelhaft

Wer nicht weiß, ob sich eine Photovoltaikanlage auf seinem alten Asbestdach lohnt, dem hilft eine einfache Rechnung: Auch wenn das Dach erst 1992 – also kurz vor Inkrafttreten des Asbestverbots – erstellt wurde, ist es heute bereits 16 Jahre alt. Damit eine Photovoltaikanlage genügendlen. Außerdem gibt es regional, beispielsweise im Schwarzwald, viele Häuser und Ställe mit asbesthaltigen Schindeln. Diese waagrecht oder diagonal verlegten Platten sehen sogar recht schön aus und erinnern an die alte Schiefertechnik von früher.

Erkennt man das Asbestdach auf den ersten Blick?

Ein Fachmann kann anhand der Verwitterung erkennen, wie alt das Dach ungefähr ist und von der Bauzeit dann auf das Material schließen. Bei Dächern aus den 60er, 70er und frühen 80er Jahren ist es mit ziemlicher Sicherheit asbesthaltig. Bei neueren Dächern ist das schon nicht mehr so einfach. Denn die asbesthaltigen Platten sehen fast genauso aus wie asbestfreie Schindeln oder Wellplatten, die man heute verwendet. Im Zweifel hilft nur eine genaue Untersuchung.

Gewinn abwirft, sollte sie 15 bis 20 Jahre lang Strom erzeugen. Nur wenn das Dach ohne Sanierung noch so lange standhält, lohnt die Investition tatsächlich. Auch das Ministerium in Hannover betont, dass das wirtschaftliche Risiko deutlich höher ist, als viele glauben. „Schließlich wird die Sanierung eines Asbestdaches, die ja nur aufgeschoben ist, mit einem aufmontierten Photovoltaikpanel am Ende der Nutzungsdauer zusätzlich aufwändiger und teurer.“

Wer übrigens als Privatmann eine Photovoltaikanlage selbst installieren will, in der Hoffnung, die gesetzlichen Vorschriften damit zu umgehen, hat von vornherein schlechte Karten: Die Gefahrstoffverordnung verbietet die Verwendung von Asbest auch in Haushalten – eine Ausnahmegenehmigung ist für private Bauherren nicht vorgesehen.

Wie häufig gibt es bei Ihnen Anfragen, eine PV-Anlage auf ein Asbestdach zu montieren?

Pro Jahr haben wir 200 bis 300 Anfragen, davon zehn bis 15 Fälle, bei denen es um Asbestdächer geht. Bis 1993 durfte Asbestzement ja noch verwendet werden. Das heißt, es gibt viele Dächer in Deutschland, die noch 20 bis 30 Jahre halten können. Da verlockt es schon, diese Dächer ohne eine Sanierung für eine PV-Anlage zu nutzen.

Wie reagieren Sie auf solche Anfragen?

Die allermeisten Kunden wissen gar nicht, welches Material sie auf dem Dach haben. Bei Asbestdächern versuchen wir, den Kunden von der Problematik zu überzeugen. Wenn er das Dach trotzdem ohne Sanierung nutzen will, lehnen wir den Auftrag ab.

Was spricht dagegen, PV-Anlagen auf Asbestdächer zu montieren?

Die Gesundheitsgefahr. Selbst wenn ich für die Anlage nur wenige Löcher bohren muss, setze ich Asbeststaub frei. Im schlimmsten Fall reichen wenige Fasern aus, damit man später krank wird. Auf einer solchen Baustelle sind aufwändige und teure Arbeitsschutzmaßnahmen vorgeschrieben. Die Mitarbeiter müssen auf dem Dach Maske, Schutzanzug und Handschuhe tragen. Außerdem werden Spezialstaubsauger und Spezialmaschinen gebraucht, und der anfallende Müll muss gesondert behandelt und entsorgt werden. Wir müssten die Baustelle absperren und Warnschilder aufstellen und das Bauprojekt vorher beim Regierungspräsidium anmelden. Dieser ganze Aufwand führt dazu, dass die Installation weit länger dauert und die Arbeitskosten sich mindestens verdoppeln.

Wenn alle Maßnahmen umgesetzt werden, ist das Risiko vertretbar?

Im Prinzip ja. Aber niemand kann garantieren, dass die Leute auf dem Dach den Arbeitsschutz immer ernst genug nehmen. Wenn es zum Beispiel richtig Sommer ist, wird es in den Schutzanzügen unerträglich heiß. Bei einer Gefahr, die man nicht unmittelbar spürt und merkt, wird man nachlässig, das weiß jeder aus eigener Erfahrung. Dieses Risiko für meine Mitarbeiter ist mir einfach zu groß.

Welche Ausnahmen wären aus Ihrer Sicht gerechtfertigt?

Ich sehe keine.

Da PV-Anlagen dennoch auf Asbest installiert werden – was glauben Sie, sind die Gründe dafür?

Tatsache ist, dass es gemacht wird. Über die Gründe kann ich nur spekulieren. Manchmal ist es vermutlich Unwissenheit, manchmal Gleichgültigkeit. Manche Eigentümer wollen sich die Dachsanierung ersparen.

Tun die Behören genug, um Eigentümer und Handwerker zu informieren?

Ich meine, als Unternehmer muss ich immer selbst aktiv sein, um auf dem neuesten Stand zu bleiben. Das gilt auch für die Asbestproblematik. Das Thema ist nicht besonders groß in der Öffentlichkeit, man unterhält sich eher unter Kollegen oder mit Zulieferern darüber. Als Handwerker habe ich eine Holschuld. Dass mich da jemand aus einer Behörde anruft und auf das Problem hinweist, das gibt es nicht.

Das Gespräch führte Christa Friedl.

Das Finanzamt zahlt mit

Asbestsanierungen sind in der Regel teuer. Wer sein Dach erst von Asbest befreien muss, bevor er eine PV-Anlage installiert, kann aber das Finanzamt an den Kosten beteiligen. Die Sanierungskosten sind als außergewöhnliche Aufwendungen von der Steuer absetzbar. Bereits 1999 entschied das Finanzgericht Düsseldorf, dass der Eigentümer dafür weder Attest noch Gutachten vorweisen muss, denn es sei allgemein bekannt, welche Gesundheitsgefahren von Asbest ausgehen (Aktenzeichen 10 K 3923/96). Allerdings: Wer das Dach vor Ablauf der normalen Nutzungsdauer – also 25 bis 30 Jahre – saniert, erhält nicht die gesamten Kosten angerechnet, entschieden die Richter, da eine Dachsanierung früher oder später sowieso fällig würde.

Zitat

„Das Risiko für meine Mitarbeiter ist mir einfach zu groß“

Christa Friedl

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