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Solarindustrie: Dumpingpreise zerstören Zukunftswirtschaft

Letzte Meldung aus der Ramschkiste: Solarmodule sind für zehn Cent das Watt zu haben. Billigheimer reiben sich die Hände, selbsternannte Analysten loben Skaleneffekte der Gigafabriken in China. Und reden zugleich dem freien Markt das Wort: Bloß keine Schutzzölle!

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Preisdumping nicht mit Skaleneffekten verwechseln

Schutzzölle will niemand, doch von Skaleneffekten kann keine Rede sein. Schaut man sich die Materiallisten der Modulhersteller aus Fernost an, wird eines klar: Auch sie kochen nur mit Wasser. Auch sie brauchen Glas, Kupfer, Folien, Alu und Leute in der Fabrik. Auch in China steigen die Löhne, sprich: die Arbeitskosten. Knapp 20 Cent fürs Watt sind Preise, die schwarze Zahlen erlauben. Wer für die Hälfte verkauft, muss Ware loswerden – über illegales Preisdumping.

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USA und Indien machen dicht

Es sind keine Skaleneffekte bei den großen Modulanbietern, die den Preiskrieg treiben. Es ist der ruinöse Verdrängungswettbewerb der Produzenten aus China, die ihre Ware unbedingt in Europa loswerden wollen. Denn ihr Heimatmarkt in Fernost war zwar stark, mit 95 Gigawatt Zubau in diesem Jahr. Aber er schwächelte, weil die Wirtschaft im Reich der Mitte stottert.

Sie müssen ihre Ware in Europa loswerden, weil neue Zelltechnologien die alten Perc-Module ausstechen. Die Ladenhüter müssen raus! Jeder Tag auf See oder im Lager kostet!

Sie müssen die Module verhökern, weil andere Märkte wie USA oder Indien die Schotten dicht gemacht haben. Nicht über Schutzzölle, sondern über Vorschriften zum Local Content oder über ethische ESG-Kriterien, die Rohstoffe und Ware beispielsweise aus Uigurien ausschließen. Zugleich wird massiv in den Aufbau neuer Werke vor Ort investiert. Das kann sehr schnell gehen, siehe USA. Washington hat ein Machwort gesprochen!

Ohne Rücksicht auf Verluste

Wie in der Chipindustrie haben die Chinesen im Solargeschäft getan, was sie immer tun: Mit Milliarden Yuan Staatshilfen haben sie gigantische Werke aus dem Boden gestampft, die nun eine gigantische Überproduktion in die Märkte drücken. Der einzig noch offene und ungeschützte Markt ist Europa, deshalb staut sich die Ware in Rotterdam.

Sie wollen und müssen ihre Ware absetzen, ohne Rücksicht auf Verluste. Andernfalls droht der totale Crash. Viele chinesische Anbieter werden in den kommenden Wochen und Monaten vom Markt verschwinden, vor allem No-Names, die hierzulande kein Mensch kennt.

Nur nichts verschrotten!

Für sie ist Preisdumping keine Bosheit, sondern der letzte Strohhalm: Die Chinesen wollen erlösen, was sich irgendwie erlösen lässt – und wenn es nur die Transportkosten sind. Nur nichts zurücknehmen. Nur nichts verschrotten.

Die meisten Anbieter aus Fernost sind ja nicht einmal bei WEEE registriert, nehmen also am Entsorgungskreislauf für Altgeräte (dazu zählen auch Solarmodule) nicht teil. Allein das wäre eine Handhabe für den Zoll, ihnen den Kuckuck vor die Tür zu hängen. Denn ohne WEEE-Nummer dürfen solche Produkte in Europa nicht vertrieben werden. Das nur am Rande.

Dumpingpreise oder fairer Wettbewerb?

Generell gilt: Dumpingpreise sind nicht erlaubt. Das ist der Kern des Wettbewerbs im europäischen Markt. Nur wer diese und andere Spielregeln beachtet, darf mitspielen. So weit die Theorie. Die Praxis sieht anders aus: Die unter Herstellungskosten angebotene Ware darf ungehindert vertickt werden.

Ohne einen Finger zu rühren, schauen Brüssel und Berlin zu. Schauen zu, wie der Markt unter die Räder kommt, weil fairer Wettbewerb unmöglich ist. Die Konsequenz: Eine Schlüsselindustrie erstickt im Keim.

Die Bürokraten brüten und brüten und brüten ...

Statt dessen brüten die Beamten darüber, wie eine resiliente Solarindustrie in Europa entstehen könnte. Sie streiten, auf allen Ebenen: Welches Modell könnte erfolgreich sein? Förderung über Capex oder Opex, über Investitionszuschüsse oder Vorschriften zum Local Content? Und wie lässt sich der Anschein von fairem Wettbewerb aufrechterhalten – in einem Markt, der brutal überrollt wird?

Das ist schizophren: Die Solarindustrie pumpt einen Vorschlag nach dem Anderen in die Bürokratie – passiert ist bislang nichts. Dabei kann es nur einen Weg geben: Dem zerstörerischen Marktverhalten der chinesischen Anbieter einen resoluten Riegel vorschieben, nach dem Vorbild Washingtons. Sie dürfen ihren Preiskrieg gern zu Hause in China austragen, aber nicht bei uns!

Markt in Deutschland bricht ein

Die Preise für Solarmodule sind seit Jahresbeginn 2023 um 80 Prozent gefallen. Zudem ist der Markt in Deutschland – das Zugpferd des europäischen Zubaus – seit dem dritten Quartal um rund 40 Prozent geschrumpft.

Die Gründe sind vielfältig: Die Leute halten ihre Taschen fest, sind verunsichert, was 2024 auf sie zukommt. Hohe Zinsen belasten das Kreditgeschäft, verzögern wichtige Investitionen im gewerblichen Segment.

Gibt es überhaupt noch Geld?

Tja, und die Förderprogramme: Gibt es überhaupt noch Geld vom Staat? Der Haushaltsstreit in Berlin lässt die Menschen zögern. Dabei wurde der Zubau 2023 maßgeblich von privaten Investoren getragen. Dieses Marktsegment steuerte 6,8 Gigawatt bei. Gewerbliche Anlagen legten um 2,4 Gigawatt zu, Solarparks um rund vier Gigawatt.

Zubau von 13 Gigawatt darf nicht täuschen

Dass wir in diesem Jahr insgesamt etwa 13 Gigawatt in Deutschland zubauen, also der Markt unterm Strich um mehr als 75 Prozent gegenüber Vorjahr wächst, ist ein toller Erfolg. Diese Zahlen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen: Diese Anlagen wurden zum großen Teil schon 2022 verkauft. Aufgrund der Engpässe in der Lieferkette kamen sie 2023 zur Ausführung und damit in die Meldekartei der Bundesnetzagentur.

Gewerbliche Anlagen oder Solarparks brauchen erheblichen Zeitvorlauf, bevor sie gebaut und angeschlossen werden. Diese Marktsegmente werden 2024 nicht so schnell wachsen, dass sie den Einbruch im Markt der privaten Anlagen kompensieren könnten.

Problem der Zertifizierung nach 4110 weiterhin ungelöst

Außerdem wirken sich im Gewerbesegment bürokratische Hürden besonders hemmend aus. Dennoch wurden geplante Erleichterungen bei der Zertifizierung von kommerziellen Dachanlagen bis 500 Kilowatt bisher nicht in den entsprechenden Gesetzen und Verordnungen umgesetzt.

Zur Erinnerung: Bis zu einer Einspeiseleistung von 270 Kilowatt sollten sie von den unsäglichen Zertifizierungen nach VDE AR-N 4110 befreit werden. Nix passiert bisher, außer vollmundige Ankündigungen.

Irrsinn durch fehlende Resilienz

Der Modulmarkt versinkt im Irrsinn, eben weil er nicht resilient ist. Weil die Politik ihre Hausaufgaben nicht macht, sich mit bürokratischen Winkelzügen befasst und sich selbst blockiert. Der Untergang der verblieben Hersteller wie Meyer Burger oder Heckert Solar rückt näher, greifbar nahe. Mal schauen, wer zur Intersolar im Juni 2024 noch antritt. Es ist gut möglich, dass dann die chinesischen Anbieter unter sich sind.

Peking greift unter die Arme

Noch einmal: Dass europäische Anbieter an die Wand gedrückt werden, ist keine Folge mangelnder Wettbewerbsfähigkeit. Die chinesischen Produzenten im Reich der Mitte können sich darauf verlassen, dass ihnen Peking unter die Arme greift. Damit die Wirtschaftskrise nicht apokalyptische Ausmaße annimmt und das überkommende System der Turboplanwirtschaft sprengt.

Auf solche Hilfen kann in Europa niemand bauen. Die Borniertheit der politischen Kaste treibt Brüssel und Berlin in die Untätigkeit. So ist das Sterben der Solarindustrie – ihrer letzten Überreste – ein Kollateralschaden des chinesischen Preiskriegs.

Die Hüter der Spielregeln sind stumm

Nicht mangelnde Wettbewerbsfähigkeit ist das Problem. Sondern dass alle Regeln des Wettbewerbs ausgehebelt werden. Mehr noch: Es gibt nicht nur keinen fairen Wettbewerb. Es gibt auch keine Hüter, die über die Spielregeln wachen und eingreifen. Preisdumping ist nicht erlaubt! Aber es wird praktiziert, es darf praktiziert werden.

Die Tatenlosigkeit der Beamten lässt sich rational nicht erklären. Die Bürokraten blockieren sich gegenseitig. Den Klimafonds von 60 Milliarden Euro in den Abgrund zu schicken, war eine glänzende Aktion von Finanzminister Christian Lindner (FDP).

Lindners glänzende Aktion

Clever eingefädelt hat er es, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Er ist der zuständige Ressortchef. In einer funktionierenden Demokratie hätte er sofort seinen Posten räumen müssen. Dass er mit seiner Strategie den Haushalt lahmlegt, den Bundestag faktisch über Wochen blockiert, ist unerträglich.

Nun ist die Ampel gelähmt, fällt in Streit und Selbstbeschäftigung zurück. Unter uns: Das kennen wir doch schon, aus 16 Jahren CDU/CSU-Regierung! Brauchen wir dafür die Ampel? Brauchen wir dafür einen grünen Wirtschaftsminister?

Die Ampel muss gestalten

Die Ampelregierung hat nur eine Chance, wenn sie gestaltet. Wenn sie den Schwung aus den ersten beiden Jahren mitnimmt, wenn sie die Energiewende und die soziale Wende vorantreibt.

Doch vorerst liegen harte Regeln für Local Content oder das Solarpaket auf Eis. Der Abbau von unsinnigen Hürden wie die Zertifizierung von großen Gewerbeanlagen steckt fest.

Die Haushaltsdebatte zeigt, wo die Bruchlinien verlaufen. Lindner und seine sogenannten Freidemokraten haben komplett versagt. Friedrich Merz (CDU) und Markus Söder (CSU) haben nichts besseres zu tun, als nach dem Abbau des Sozialstaats zu rufen. Sie fordern, die Energiewende zu verschieben.

Apathie nicht fortschreiben!

Das töricht und gefährlich, denn diese Strategie hat noch nie funktioniert. Sie schreibt die Apathie vergangener Legislaturperioden fort, bietet substantiell keine neue Ideen. Man kann nur hoffen, dass sich innerhalb der Unionsparteien progressive Kräfte finden, die Deutschlands Zukunft im Blick haben – und nicht das übergroße Ego von abgehalfterten Kampfhähnen.

Die Sache duldet keinen Aufschub

Die Klimakrise und der Modernisierungsbedarf in Deutschland dulden keinen Aufschub, auch nicht durch endlose Beratungen des Bundestages zum Haushalt. Der Klimawandel wartet nicht, die Hütte brennt.

Wenn Brüssel und/oder Berlin nicht schnell ein Machtwort sprechen, gibt es keine deutsche Solarindustrie mehr, zumindest keine Hersteller von Solarmodulen. Dann wird hierzulande nur noch Importware über den Tisch geschoben – made in China.

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