Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

Karl Dienst von Wegatech: „Der Trend geht zum komplett vernetzten Energiesystem“

Die Nachfrage nach Solaranlagen wächst. Wird die Sektorenkopplung jetzt der nächste Schritt?

Karl Dienst: Der Trend geht zu einem komplett vernetzten Energiesystem für das ganze Haus. Nicht nur kehren immer mehr Kunden davon ab, reine Photovoltaikanlagen zu kaufen. Die Kombination mit Batteriespeicher ist quasi bereits Standard. Aber eine zunehmende Zahl an Interessierten analysiert ihre gesamte Energieversorgung und investiert in Komplettsysteme, die Stromversorgung, Mobilität und Wärme sinnvoll miteinander verbinden. Eine Systemlösung aus Photovoltaikanlage, Batteriespeicher, Luft-Wasser-Wärmepumpe und Wallbox bringt einem Haushalt eine große Unabhängigkeit. Die Initialkosten sind zwar deutlich höher, dafür sind Hausbesitzer vor Volatilität am Strom- und Energiemarkt bestens geschützt.

In den letzten Monaten ist von politischer Seite schon sehr viel passiert, was die Rahmenbedingungen angeht. Doch was braucht die Branche, um noch schneller vorwärts zu kommen?

Um unabhängiger von fossilen Energieträgern wie Öl und Gas zu werden und die Klimakrise einzudämmen, muss die Regierung den Fokus auf den Ausbau von Luft-Wasser-Wärmepumpen legen. Robert Habeck hat zwar bereits angekündigt, bis 2023 eine halbe Million Geräte pro Jahr installieren zu lassen. Diese Willenserklärung reicht aber bei Weitem nicht aus. Neue Gas- und Ölheizungen dürfen nicht erst 2024, sondern schon ab 2023 nicht mehr eingebaut werden – dafür braucht es ein entsprechend strenges Gesetz.

Wenn es um die Wärmewende geht, sind aber auch die Großstädte gefragt, wo die Mieter nicht einfach die Heizungsart wechseln können?

Auch für Vermieter muss es attraktiver werden, bestehende Heizungen frühzeitig durch Wärmepumpen zu ersetzen. Außerdem bedarf es eines Sanierungszwangs für Gebäude mit sehr schlechtem Energiestandard, denn nur so lassen sich die notwendigen Sanierungsquoten realisieren.

Einigermaßen positiv wurden in der Branche die Entscheidung aufgenommen, Solaranlagen mit einer bestimmten Größe endlich von der Steuer zu befreien. Reicht das aus?

Der Bundestag hat eine erhebliche Steuerersparnis für private und gewerbliche Photovoltaikanlagen bis 30 Kilowatt Leistung beschlossen. Neben der Umsatzsteuer beim Kauf fällt für die seit dem 1. Januar 2023 fertiggestellten Anlagen auch die Einkommenssteuer weg. Hausbesitzer müssen sich also nicht mehr mühsam mit Umsatzsteuervoranmeldungen herumschlagen und die Photovoltaikanlage auch nicht mehr in der Einkommensteuererklärung berücksichtigen. Für Interessierte ist das ein starker Anreiz, die Anschaffung einer Solaranlage nicht weiter auf die lange Bank zu schieben, sondern jetzt aktiv zu werden. Hinzu kommt: Die neue Regelung umfasst auch Batteriespeicher-Systeme. Der Gesetzgeber kann aber noch viel mehr tun, um die Energiewende wirklich zu beschleunigen. Gerade Luft-Wasser-Wärmepumpen und Wallboxen, die häusliche Energiesysteme optimal ergänzen, brauchen weitere attraktive Förderungen. Auch die vereinfachte Anmeldung bei den 900 verschiedenen Netzbetreibern muss dringend beschleunigt werden. Der Bund plant bereits eine vereinheitlichte und digitalisierte Netzanfrage.

Der Fachkräftemangel ist ein Bremsklotz für den Ausbau. Was kann die Branche hier tun?

Der Mangel an Fachkräften ist ein zentrales Problem. Es wurde verschlafen, früh genug in Ausbildung und Attraktivität der Berufe zu investieren. Daher braucht es jetzt eine wahre Ausbildungsoffensive, insbesondere muss der Solarteursberuf als Allrounder rund um Solartechnik endlich eingetragener Ausbildungsberuf werden. So können sich ebenfalls Dachdecker oder Mitarbeiter von Elektrobetrieben weiterbilden und qualifizieren. Auch Wärmepumpeninstallateure gibt es nicht genug. Es haben zwar bereits einige Fortbildungsprogramme begonnen, wie der neue Abschluss zum ‚Geprüften Berufsspezialisten Wärmepumpe‘. Der Bedarf ist damit aber lange nicht gedeckt. Unternehmen tun außerdem gut daran, ihre bestehenden Fachkräfte mit entsprechenden Boni oder Benefits zu halten. Flexible Arbeitszeiten, gute Gehälter, Firmenwagen, transparente Schichtplanung und der Einsatz von digitalen Tools müssen zum Standard werden.

Apropos digitale Tools: Wie finden diese den Weg in den Arbeitsalltag der Installateure?

Eine große Hürde bei der schnellen Energiewende sind neben dem eklatanten Fachkräftemangel die kaum ausgebauten digitalen Standards. Handwerker sind teilweise so überarbeitet, dass schlicht keine Zeit für die Etablierung digitaler Prozesse bleibt. Partnerunternehmen des Handwerks können hier ansetzen und digitale Tools bereitstellen, die leicht zu implementieren sind. Manche Photovoltaikabieter übernehmen bereits alle bürokratischen Prozesse für das Handwerk, sodass der Fokus rein auf der Installation liegen kann. Aber nicht nur das Handwerk leidet unter einer schlechten Digitalisierung, Förderanträge für Photovoltaikanlage, Speicher, Luft-Wasser-Wärmepumpe und andere sind immer noch nicht zentral digital zu beantragen, sondern müssen föderal von Bundesland zu Bundesland individuell erfolgen. Auch Netzbetreiber und Behörden könnten mithilfe der Digitalisierung bürokratische Hürden abbauen und so die Anschaffung einer Photovoltaikanlage für Hausbesitzer deutlich beschleunigen.

Welche technischen Trends sehe Sie für 2023?

Die Leistung der Solarmodule steigt zunehmend – im Vergleich zwar nicht mehr so rasant wie in den Anfangsjahren der Solarindustrie, aber dennoch signifikant. Im Zuge der Leistungssteigerung passt zudem immer mehr Photovoltaik aufs Dach. Der Trend geht stark zu deutlich größeren Photovoltaikanlagen auf dem Eigenheim. Stromspeicher sind Teil eines intelligenten Energiemanagements, häufig auch mit Notstromfunktion. Daneben etablieren sich Wärmepumpen zunehmend am Heizungsmarkt. War die Luft-Wasser-Wärmepumpe noch vor wenigen Jahren ein unansehnlicher, lärmender Kasten, gewinnen heutige Wärmepumpen Designawards und sind flüsterleise. Auch die Photovoltaikintegration ist bei der Entwicklung neuer Wärmepumpenmodelle höchst relevant – das SG-Ready-Label wird dabei mehr und mehr zum Standard. (su)

Verpassen Sie keine wichtige Information rund um die solare Energiewende! Abonnieren Sie dazu einfach unseren kostenlosen Newsletter.

Einen kompletten Ausblick über den Solarmarkt lesen Sie in der kommenden Ausgabe der photovoltaik, die am 17. Februar 2023 erscheint. Falls Sie noch kein Abo haben, können Sie hier reinschnuppern.