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Solarglas: Produktion ohne Erdgas - mit grünem Strom

Die durch den russischen Einmarsch in der Ukraine ausgelöste Gaskrise hat im Westen zu exorbitanten Preissteigerungen geführt. Das zeigt, wie anfällig unsere Industrie durch die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen ist - vor allem von Erdgas. Dies gilt insbesondere für die Glasindustrie.

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Extreme Abhängigkeit der Industrie

Durch die Verfügbarkeit von billigem Erdgas wurden fast alle Prozesse in der Wertschöpfungskette für Solarglas umgestellt, was zu einer extremen Abhängigkeit führt. Hinzu kommt, dass alle fossilen Verbrennungsprozesse durch den Ausstoß von Kohlendioxid sehr klimaschädlich sind.

Erster Schmelzofen 1872 erfunden

Die Entwicklung von Schmelzöfen für fossile Brennstoffe begann mit dem von Charles William Siemens aus Westminster in England 1872 erfundenen kontinuierlichen Glasschmelzofen. Durch den Regenerativprozess (Vorerhitzung der kalten Verbrennungsluft) stieg der Gesamtwirkungsgrad von zehn bis 25 Prozent (je nach Größe) auf bis zu 50 Prozent. Mit Brennstoff und Sauerstoff (anstatt Luft) befeuerte Öfen können sogar einen Gesamtwirkungsgrad von 60 Prozent erreichen.

Erdgas war billiger, aber auch weniger effizient

Die Verwendung von Erdgas, dessen Preis früher im Durchschnitt nur 30 Prozent der Stromkosten betrug, machte den Prozess weniger kostspielig, obwohl der Gesamtwirkungsgrad von elektrisch beheizten Öfen bis zu 90 Prozent erreichte. Die Emission von Kohlendioxid und anderen Stoffen durch die Befeuerung mit fossilen Brennstoffen war bis vor einigen Jahren kein Thema. Die heutigen Gaspreise liegen jedoch höher als die Preise für Elektrizität.

Schon 1905: der erste Elektroofen

Nur wenigen Fachleuten ist bekannt, dass das kontinuierliche vollelektrische Schmelzen (AEM) fast so alt ist wie das gasbefeuerte regenerative Schmelzen. Der erste Elektroofen wurde 1905 nach dem Entwurf des Franzosen Sauvageon gebaut und diente der Herstellung von Fensterglas.

Selbst kleine Elektroöfen haben einen thermischen Wirkungsgrad von 70 85 Prozent. Der spezifische Energieverbrauch lag schon vor über 100 Jahren bei weniger als 0.9 Kilowattstunden je Kilogramm Glas. Trotz vieler Verbesserungen ist das elektrische Schmelzen allerdings aufgrund höherer Kosten im Vergleich zu den weithin verfügbaren billigen fossilen Brennstoffen für alle Massengläser immer unbeliebter geworden.

Eine vollelektrische Schmelzwanne mit oberen, seitlichen und unteren Molybdän-Elektroden.

IWG Wagenbauer/Glass Service

Eine vollelektrische Schmelzwanne mit oberen, seitlichen und unteren Molybdän-Elektroden.

Neues Interesse an elektrischen Schmelzverfahren

Erst die Klimakrise und der Druck auf den CO2-Fußabdruck haben das Interesse an vollständig oder teilweise (hybriden) elektrischen Schmelzverfahren neu geweckt. Alternative Energiequellen für Strom tragen dazu bei, die Kosten zu senken, und den CO2-Ausstoß aus dem Verbrennungsprozess bei voll elektrischen Öfen auf Null zu senken.

Es bleiben lediglich die im Gemenge enthaltenen CO2-Anteile. Die Auslegung und der Betrieb aller elektrischen Schmelzöfen können in einer Vielzahl von Varianten erfolgen, je nach Anforderungen.

Gleichmäßige und stabile Gemengeschicht

Eine zentrale Rolle für Solarglas spielt das Erreichen einer gleichmäßigen und besonders stabilen Gemengeschicht. Zum anderen soll die Gemengeschicht den Durchtritt von aus der Schmelze aufsteigenden Blasen (zum Beispiel Kohlendioxid oder Schwefeldioxid) ermöglichen.

Das Problem besteht darin, das zur Erreichung einer stabilen Gemengeschicht die Ziehgeschwindigkeit nur in einem sehr kleinen Bereich variiert werden kann. Ist die Glasziehgeschwindigkeit zu gering, wird die Gemengeschicht dünner. Hohe Wärmeverluste führen zu Schmelztemperaturen, so dass eine ausreichende Läuterung zur Gewährleistung hoher Glasqualitäten nicht erreicht wird.

Potenziell niedrigere Investitionen

In der Regel weisen vollelektrische Schmelzöfen ein stabiles Arbeitsfenster im Bereich von 80 bis 110 Prozent der Nennkapazität auf. Darüber hinaus weisen Elektroschmelzöfen (EM) potenziell niedrigere Investitionskosten auf, da ein kleineres Ofenvolumen verwendet wird, keine Regeneratoren erforderlich sind und keine teuren Hochtemperaturgewölbe benötigt werden.

Außerdem werden die verbrennungsbedingten gasförmigen Emissionen (zum Beispiel Kohlendioxid, Stickoxide und Stäube) stark reduziert, so dass die Investitionskosten für Filteranlagen und die Betriebskosten für die Reinigung sinken.

Weitere Vorteile von elektrischen Öfen

Aus betrieblicher Sicht ist es positiv, dass weniger Wartungsarbeiten zur Reinigung von Regeneratoren erforderlich sind, weniger Verflüchtigungen (geringere Rohstoffkosten) auftreten und geringere Reparaturkosten zu verzeichnen sind. Außerdem ist der Wirkungsgrad nicht so stark von der Größe und Kapazität des Ofens abhängig wie bei fossil befeuerten Öfen.

Derzeit sind maximale EM-Kapazitäten von 250 Tonnen Glas pro 24 Stunden möglich, wobei diese Begrenzung weder physikalisch noch technologisch erklärbar ist und theoretisch viel größere Kapazitäten machbar sein sollten. Darüber hinaus werden modulare Ansätze diskutiert, die eine praktikable Lösung zu bieten scheinen.

250 Tonnen pro Jahr

Eine Solarglasanlage mit 250 Tonnen pro Tag produziert netto rund fünf Millionen Quadratmeter Solarglas (3,2 Millimeter dick) im Jahr. Damit lassen sich Solarmodule mit einer Leistung von rund 1,25 Gigawatt produzieren. Die von der EU veröffentlichten Ausbauziele gehen von einem Ausbau der Produktionskapazitäten in Europa von 30 Gigawatt bis 2030 aus. Rein rechnerisch werden mehr als 20 Solarglasfertigungen mit je 250 Tonnen täglich gebraucht.

Da die beschriebenen Anlagen auch modular angelegt werden können, lassen sich beispielsweise zwei Schmelzwannen mit einer großen Gemengeaufbereitung und den nachgelagerten Veredelungsanlagen betreiben. Dies hat den Vorteil, dass unterschiedliche Glasstärken (zwei und 3,2 Millimeter) produziert werden können. Während der alle acht bis zehn Jahre notwendigen Kaltreparatur kann auf jeweils einer Wanne weiter produziert werden.

Sonnenstrom von den Flächen der Fabrik

Die Glasproduktion hat einen immensen Platzbedarf. Das Gelände, einschließlich großer Verkehrsflächen für die Logistik, umfasst meist eine Fläche von vier bis fünf Hektar. Auf dieser Fläche kann durch eine intelligente Auslegung mit Solarmodulen eine Solaranlage mit sechs bis sieben Megawatt installiert werden.

Bezieht man weitere Verkehrs- und Lagerflächen in der Umgebung mit ein, sind bis zu zehn Megawatt möglich. An den meisten Standorten wird eine solche Solaranlage den gesamte Strombedarf der Produktion vor Ort decken, sofern Speicher vorhanden sind. An windreichen Standorten lassen sich zusätzliche Windräder installieren. Das ergibt eine bessere Verbrauchsbilanz.

Erste Pilotlinie in der Planung

Damit die Vision vom Solarglas ohne Emissionen Wirklichkeit werden kann, erarbeitet die GridParity AG zusammen mit Glastechnologen und Investoren ein Konzept zum Bau der weltweit ersten voll elektrischen Fertigungslinie für Solarglas. Sie kann dann als Pilotanlage in Europa dupliziert werden.

Der Autor: Dr. Erich Merkle ist Geschäftsführer des Modulanbieters Grid Parity AG aus Karlsfeld.

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