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Solarglas: Gewaltiger Engpass droht in Europa

Noch ist die europäische Modulproduktion im Weltmaßstab unbedeutend und die Abhängigkeit von China gefährlich. Deutschland und die EU wollen dies ändern und europäische Produktionskapazitäten hochfahren. Dass dazu unbedingt die Beschaffung von Solarglas gehört, wird durchweg vergessen.

Gigantischer Ausbau der PV braucht sehr viel Glas

Die Chinesen planen ganzheitlich, denn sie wissen: Ohne Solarglas ist keine Modulproduktion möglich. Für die gigantischen Ausbauziele der Photovoltaik werden folgerichtig gigantische Mengen Glas gebraucht. Deswegen erhielt das deutsche Unternehmen Grenzebach schon 2020 Aufträge aus China für mehr als 160 Ziehglaslinien speziell für den Photovoltaikmarkt.

Diese wurden inzwischen geliefert. In Europa gibt es gerade mal eine Handvoll solcher Linien und von Plänen, diese immer größer werdende Lücke zu schließen, ist nichts bekannt. Deutschland bietet die weltweit beste Schmelztechnologie mit Weltmarktführern wie Sorg und Horn. Auch Frankreich und England haben hervorragende Anbieter.

Lisec in Österreich liefert die besten Anlagen für die Beschichtung und die Härtetechnik. Geliefert werden fast alle innovativen Anlagen für die Solarindustrie nach China - nicht nach Europa.

Enorme Investitionen nötig

Der Bau einer Solarglasfabrik fordert eine riesige Investition von bis zu 165 Millionen Euro für eine Produktionslinie optimaler Größe mit einer Schmelzleistung von 500 Tonnen je 24 Stunden. Der Energieverbrauch (80 Prozent Gas) und die Reduktion der Umweltbelastungen (Kohendioxid und Stickoxide) verursachen einen erheblichen Aufwand und lange Genehmigungsverfahren. Der Zeitraum von der Planung bis zum Betrieb einer Solarglasproduktion liegt daher bei drei bis vier Jahren. Das ist lang im Vergleich zu sechs bis zehn Monaten für eine neue Modullinie.

Glas wird zum strategischen Gut

Man könnte argumentieren, dass wir Solarglas in China kaufen sollten. Allerdings bricht dann das Argument der Sicherung einer europäischen Lieferkette und der Einsparung von Logistikkosten durch europäische Produktion zusammen. Dadurch wird die existentielle Abhängigkeit von China, die schon heute sehr kritisch gesehen wird, noch vergrößert.

Aus Sicht der Chinesen könnte es Sinn machen, den Export von Solarglas zu limitieren, sobald die europäische Solarproduktion so richtig anläuft! Dies würde den chinesischen Modulabsatz neu beleben, die Europäer könnten Ihre Fertigungslinien still legen.

Glasfabriken bei den Uiguren

Schließlich wiegt auch der Vorwurf schwer, dass die Produktion in China unter schlechten politischen und Umweltbedingungen stattfindet. Mehrere Glasfabriken befinden sich in der Provinz Xinjiang, dem Gebiet der unterdrückten Uiguren. Mit einem Gewichtsanteil von bis zu 80 Prozent eines Standard-PV-Moduls ist der Transport des Glases fast so kosten- und zeitintensiv wie der fertigen Module.

EU unterschätzt Glas als strategische Komponente

Die Ausbauziele für eine “Neue Europäische Solarindustrie” sind gigantisch und wurden zuletzt angesichts des Krieges in der Ukraine deutlich nach oben korrigiert. In den meisten Fällen soll der Ausbau der Produktionskapazitäten entlang der gesamten Wertschöpfungskette erfolgen, vom Silizium über Wafer und Zellen bis hin zur Modulproduktion.

Seltsamerweise fehlt in dieser Aufzählung und in den Plänen für Gigawattfabriken immer eine wichtige Komponente: Das für 99 Prozent aller Module benötigte Solarglas. Dieser unverzichtbare Bestandteil ist in Europa nicht ausreichend verfügbar. Die folgenden Argumente zeigen dies:

Strukturglas im Walzverfahren

Ultraweißes Solarglas wird hauptsächlich als Strukturglas in einem Walzverfahren hergestellt. Durch spezielle Formgebungswalzen wird die Stärke des Glases und auf beiden Glasseiten eine Mikrostruktur gebildet. Diese hält die Reflexion weitgehend im Glas und bewirkt dadurch einen hohen Transmissionsgrad. Die übliche Flachglasproduktion ist für Solarglas weniger geeignet.

Fabrik in Tschernitz wurde verkauft

Derzeit kann eine Modulproduktion von maximal drei bis vier Gigawatt mit in Europa produziertem Solarglas erfolgen. Nominelle Anteile des Glases wurden bis 2021 aus Indien und wenigen anderen Ländern importiert.

Da fällt auf, dass der größte europäische Solarglasanbieter Interfloat mit der Fertigung GMB Glasmanufaktur Brandenburg in Tschernitz im April 2022 an den indischen Marktführer Borosil verkauft wurde. Angesichts der Tatsache, dass die Fertigung dort von ununterbrochenen Gaslieferungen abhängig ist, wunderten sich Branchenkenner. Denn abgesehen vom Risiko der Unterbrechung der russischen Gaslieferungen ist bei den heutigen Gaspreisen die kostendeckende Produktion nur bei fast unrealisitsch hohen Verkaufspreisen für das Solarglas möglich.

Teure Kaltreparatur steht an

Borosil war wohl eher an dem Marktzugang interessiert, zumal in etwa drei Jahren Kosten von rund 30 Millionen Euro für eine voraussichtlich anstehende Kaltreparatur der Schmelzwanne aufgebracht werden müssen. Borosil will seiner Produktionskapazitäten auf 2.600 Tonnen pro Tag bis 2025 erhöhen. Ob davon wirklich die behaupteten 450 Tonnen auf die Fertigung in Brandenburg entfallen, darf bezweifelt werden. Aber selbst diese Menge würde nur für rund 2,5 Gigawatt Modulproduktion reichen.

Zehnmal höherer Bedarf an Solarglas in Europa

Die von der EU veröffentlichten Ausbauziele gehen von einem Ausbau der europäischen Modulproduktion von bis zu 30 Gigawatt bis 2030 aus. Selbst wenn die Modulwirkungsgrade steigen, würde dies im Jahr 2030 zu einem fast zehnfachen Bedarf an Solarglas gegenüber 2021 führen. Es stellt sich die Frage, wie diese Nachfrage gedeckt werden soll, da neue Produktionskapazitäten für Solarglas nicht in Sicht sind.

Gaspreis schlägt auf Wirtschaftlichkeit durch

Die Glasproduktion erfordert einen hohen Energieaufwand, der zu 80 Prozent durch Erdgas gedeckt werden muss. Die Produktion ist nicht flexibel und die Schmelzöfen müssen rund um die Uhr und 365 Tage im Jahr beheizt werden. Bei einem Gaspreis von etwa sechs Euro pro Megawattstunde entfielen im Jahr 2020 rund 35 Prozent der Produktionskosten auf Energie.

Am 7. März wurde auf dem Spotmarkt TTF Dutch Future ein Preis von 211 Euro notiert. Selbst wenn sich dieser Höchstpreis inzwischen reduziert hat, rechnet derzeit niemand damit, dass in den nächsten Jahren Preise unter 50 bis 80 Euro pro Megawattstunde erreicht werden.

Hybridwannen als Alternativen

Als mögliche Alternative kommen sogenannte Hybridwannen in Betracht. Die Hybridtechnologie für die Glasproduktion ist überzeugend: Bei maximalem Elektroanteil von 80 Prozent und nur 20 Prozent Gas könnten bis zu 16 Prozent Energie eingespart und die Emissionen des Kohlendioxids um 80 Prozent reduziert werden.

Allerdings ist kritisch anzumerken, dass diese Schmelztechnoligie bisher nur für Behälterglas entwickelt wurde. Eine Industrieanlage ist noch nicht in Betrieb.

Emissionen senken durch Ökostrom

Nachhaltige elektrische Energie wird bei der Transformation der Glasindustrie eine wichtige Rolle spielen, weil diese von allen Energieträgern die höchste Energieeffizienz aufweist. Bei einigen Prozessen ist allerdings ein gewisser Anteil an Energie aus Gas notwendig, um das Glasschmelzsystem flexibel zu halten.

Die Technologie der Hybridwannen hat das Potenzial, die direkten Emissionen der Wanne um 60 Prozent und die der gesamten Anlage um 50 Prozent zu senken, indem 80 Prozent des Erdgases durch erneuerbaren Strom ersetzt werden. Das Reduktionspotenzial für Kohlendioxid ist bei dieser Innovation noch höher, wenn sie anschließend mit anderen innovativen Energiequellen wie Wasserstoff kombiniert wird.

Eine europäische Solarindustrie ist unabdingbar

Ein Beamter der Europäischen Kommission wies auf dem Solarstromgipfel im April 2022 in Brüssel darauf hin, dass die Solarproduktion in Europa wieder aufgebaut werden müsse - ”koste es, was es wolle".

Die derzeitige Förderung ist jedoch zu kurzsichtig und fängt beim Wafer an. Ohne die Einbeziehung von Solarglas als energieintensivste und schwerste Komponente bleibt die Abhängigkeit von China im Solarmarkt bestehen. Die derzeitige geschätzte Lücke bei Solarglas für die europäische Fertigung wird von 80 Prozent durch die Ausbaupläne auf bis zu 30 Gigawatt auf 95 Prozent anwachsen.

EU muss jetzt handeln

Niemand käme auf die Idee, in der Produktionskette von Automobilen den notwendigen Stahl aus der Betrachtung auszuschließen. Das wird aber bei der Betrachtung der Wertschöpfungskette für PV-Module gemacht! “Ähnlich wie mit Russland ist die Asymmetrie und die Einseitigkeit der Abhängigkeit Deutschlands von China ein zentrales Problem", sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher.

Das nutzt China zunehmend als Druckmittel gegenüber Deutschland und Europa. Die Abhängigkeit von chinesischen Komponenten (inclusive der BOS-Komponenten einschließlich Wechselrichter) liegt bei rund 90 Prozent.

Sie wird mit dem Ausbau der Modulfertigung in Europe zunehmen. Die EU braucht eine Industriepolitik, die den Aufbau strategischer Schlüsselbranchen konsequent unterstützt. Sicher nicht eine Politik, die eine in der Zukunft mehr als 90prozentige Abhängigkeit bei der Komponente Solarglas ausblendet.

Der Autor: Dr. Erich Merkle ist Geschäftsführer des Modulanbieters GridParity AG aus Karlsfeld.

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