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Solare Dekade

Die Öfen gehen aus

Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen: Mit diesem Spruch brachte sich Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt als Realist in die Medien, als Pragmatiker, ganz der Sozi von der Küste, der die Ärmel hochkrempelt, Retter gegen die Fluten.

Als Staatschef und Chef der Sozialdemokraten hatte er einen wirklichen Visionär beerbt: Willy Brandt, dessen neue Ostpolitik das Ende des Kalten Krieges vorbereitete.

Schmidt dagegen ließ amerikanische Pershing-Raketen aufstellen. Er förderte die Atomkraft und erlebte den größten Aufstand der westdeutschen Zivilgesellschaft, als sich Hunderttausende zu den Ostermärschen fanden, gegen Aufrüstung und Atomtod.

Helmut folgte auf Helmut

So formierten sich die Grünen als Bewegung und Partei, und Helmut, der Junge aus Hamburg, verlor seinen Job an Helmut aus Ludwigshafen. Von Helmut Schmidt ist wahrlich kaum Visionäres überliefert, seitdem auch von seiner Partei nicht mehr – einst unter August Bebel als Sozialvisionäre gestartet.

Vielleicht ist das der Grund, warum mittlerweile die globale Zivilisation mit hohem Fieber im Bett liegt. Die Politik – überall auf der Welt, nicht nur in der Industrienation Deutschland – hat aufgehört, Lösungen für die großen Themen zu suchen: Frieden, Wohlstand und Umweltschutz. Statt der Visionäre regieren Erbsenzähler wie Helmut Schmidt, Helmut Kohl oder Angela Merkel oder Demagogen wie Wladimir Putin oder Donald Trump.

Die Vision stirbt nicht aus

Und doch stirbt die Vision nicht aus. Im Gegenteil: Fridays for Future beispielsweise ist eine Bewegung, deren Vision weder ideologisch noch religiös verbrämt ist. In einer lebenswerten Welt Mensch zu sein; Dreck, Hunger und Krieg endlich aus der Welt zu verbannen, ist kein fernes Himmelreich. Es ist die schlichte Notwendigkeit, wenn zehn oder zwölf Milliarden Menschen auf dieser Erde irgendwie in Würde durchkommen und miteinander auskommen wollen.

Dabei spielen die erneuerbaren Energien eine zentrale Rolle, allen voran die Photovoltaik. Kaum ist die solare Energiewende in Gang gekommen, hat sie die Speichertechnik und die E-Mobilität ins Rollen gebracht. Windkraft zum Beispiel ist drei Jahrzehnte älter als die Photovoltaik – im Sinne von Industrie und Markt – aber die stationären und mobilen Stromspeicher kamen erst durch die Photovoltaik wirklich in die Welt.

Denn Photovoltaik ist nicht nur elektrischer Strom, wie Atommeiler, Kohlemeiler oder Windrotoren auch. Sie ist Ausdruck einer viel älteren Vision, der ältesten Vision überhaupt: des befreiten Menschen, der sich keine Sorgen mehr um seine Energieversorgung machen muss.

Photovoltaik ist Freiheit

Die Photovoltaik macht jedermann zum Stromerzeuger, und jedermann kann seinen Strom selbst verbrauchen, ganz gleich, wo und wann. Deshalb brachte die solare Energiewende den Eigenverbrauch zum Durchbruch, und nicht die Technologien, die zum klassischen Kraftwerksbau gehören.

Das Stromnetz, das den Strom aus großen Kraftwerken zu den Kunden bringt, ist ökonomischer Ausdruck der Fäden, die die Menschen an die Konzerne und den Staat binden, ist unsichtbare Fessel in einer Welt, aus der immer mehr Fesseln verschwinden. Das war bei den Telefonen so, die heute Smartphones heißen. Das war bei den Grenzen in Europa so, die es heute nicht mehr gibt – der Visionär Willy Brandt hat recht behalten.

An den Fäden der Ölmultis

Und es wird auch bei den Autos so kommen, die vor 100 Jahren bereits den Abschied von der Eisenbahn einläuteten. Noch sind sie an die Versorgung mit Sprit gefesselt. So hängen Millionen Autofahrer an den unsichtbaren Fäden der Ölmultis in Iran, USA, Saudi-Arabien und Russland. Mit der Photovoltaik werden auch sie befreit. Die Tankstelle wird zur Ladebox, sie wird Teil des Gebäudes – jedes Gebäudes.

Andreas Piepenbrink von E3/DC nennt solche Gebäude „E-Mobilie“. „Eine E-Mobilie ist eine Immobilie, die sämtliche für ihre Nutzung erforderliche Energie selbst regenerativ produziert, speichert und bereitstellt“, definiert er. „Komfortstrom, Heizstrom, Fahrstrom. Klimaneutral, CO2-frei. Sie versorgt nicht nur E-Autos, sie kann diese auch entladen und bidirektional intelligent in ihr Energiesystem integrieren.“ Was die Photovoltaik zu ihrer Erfolgsgeschichte treibt, sind nicht allein Kosten und Bilanzen. Sie drücken lediglich den dahinterliegenden Nutzen aus: Jedermanns sauberer Strom kann heizen, kühlen, frieren, fahren und arbeiten – überall, ohne Stromnetz. So hört Strom auf, eine begrenzte Ressource zu sein.

Jedermanns sauberer Strom

Die großen Kraftwerke – und dazu gehören auch die Windparks – hingegen brauchen das Stromnetz, und deshalb werden sie dem Bedarf immer hinterherhinken.

Denn das Stromnetz verhindert den Überfluss an sauberem Strom, wie die Eisenbahn die freie, individuelle Mobilität behindert – oder das Netzmonopol der Telekom seinerzeit den Mobilfunk in Deutschland.

Plusenergie: Strom im Überfluss

Der Begriff „Plusenergiegebäude“ kam überhaupt erst mit der Photovoltaik in die Welt. Wir werden es bald erleben: Nachbarn werden sich solare Überschüsse schenken oder sie kostenlos an die Kirchengemeinde oder den Kindergarten nebenan abgeben.

Nochmals sei Andreas Piepenbrink zitiert: „Sobald eine Flut von Stromern unterwegs ist, die sich folgerichtig mit dem Zero-CO2-Powerpaket Photovoltaik, Hauskraftwerk und intelligente Wallbox zusammenschließt, bedeutet das für die alten Energieversorger: Der Ofen ist aus.“ Begriffe wie „Reststrom“ oder „Sektorenkopplung“ sind gleichfalls Ausdruck der Solarisierung unserer Energieversorgung, kamen mit der Photovoltaik auf – obwohl es Kraftwerke schon vorher gab. Es bedeutet das Aus für elektrischen Strom als Handelsprodukt, wie wir es aus den Zeiten von Helmut Schmidt – oder Helmut Kohl – kennen. Das Stromnetz, einst Rückgrat der Stromversorgung, wird nur noch Reststrom abdecken – bis die Brennstoffzellen eine ähnliche ökonomische Lernkurve durchlaufen wie die Photovoltaik und die Lithiumspeicher.

Die Brennstoffzellen werden mit Wasserstoff gespeist, der seinerseits aus solaren Überschüssen im Sommer stammt. Er wird nicht aus Nordafrika kommen oder aus Arabien, weil niemand wieder in die alte Abhängigkeit zurückfallen will.

Wasserstoff aus Überschuss

Für neue ökonomische Fesseln gibt es kein Geschäftsmodell mehr, auch hier spielt die Photovoltaik ihre Vorteile als sauberer Stromerzeuger direkt beim Verbraucher aus. Das sehen wir beispielsweise bei der enormen Nachfrage, die Home Power Solutions mit ihrem Komplettsystem Picea erzielt.

Photovoltaik, Sektorenkopplung, Solarakkus und Wasserstoff erlauben echte Unabhängigkeit, erlauben den vollständigen Abschied der Gebäude- und Fahrzeugversorgung vom Stromnetz.

Erbsenzähler und Demagogen

Als ich 2005 in die Solarbranche kam, schien dies eine ferne Vision, beinahe eine Fata Morgana der schönen neuen Welt. Nun, im Jahr 2020, wird es technische Realität. Wie schnell es politische und vor allem soziale Realität wird – überall auf der Welt –, das wiederum hängt davon ab, wie lange sich die Erbsenzähler und Demagogen noch halten können.

Ich kann es nicht besser formulieren, deswegen überlasse ich den Schluss wieder Andreas Piepenbrink: „Das 20. Jahrhundert war ein Jahrhundert der großen technischen Innovationen“, schätzt er ein. „Das 21. muss eines der Versöhnung von sozialen, technischen und ökologischen Innovationen werden.“

Meine Vision: Georg Stawowy von der Lapp Holding AG

All Electric Society braucht 100 Prozent erneuerbaren Strom

Foto: Wolfram Scheible/Lapp

Was mich persönlich bewegt, ist nicht direkt der Klimawandel, sondern der Ressourcen­verbrauch auf unserer Erde. Aktuell wächst die Weltbevölkerung innerhalb von zwölf ­Jahren um eine Milliarde Menschen. Sie alle wollen am Wohlstand teilhaben und werden den Ressourcenverbrauch deutlich erhöhen.

Schon heute verbraucht die Menschheit ein Mehrfaches der Ressourcen, die die Erde regenerieren kann. Das ist das Problem. Daher ist die Vision der All Electric Society, in der der Strom gänzlich regenerativ erzeugt wird und auch die Verbraucher elektrisch betrieben werden, für mich leitend und überzeugend.

Sehr große Potenziale in der BIPV

Während der stockende Ausbau der Windenergie uns vor Augen hält, welche ­praktischen Aspekte den Ausbau behindern, lässt die Solarenergie – insbesondere mit der ­organischen Photovoltaik – die Phantasie zu, dass die Installation von PV noch sehr ­große Potenziale hat.

Bekanntlich übertrifft die von der Sonne eingestrahlte Energie tausendfach den Energiebedarf. All unsere Probleme könnten durch Sonnenenergie gelöst werden. Luftverschmutzung, Wassermangel und Temperaturanstieg könnten gebremst werden.

Die Vision der All Electric Society bedarf nicht nur des Ausbaus regenerativer Energien, sondern auch einer ganzheitlichen Betrachtung des energetischen Netzwerkes von der Erzeugung über die Speicherung, den Transport bis hin zum Verbrauch. Die technologische Entwicklung von Photovoltaik, Solarthermie, Wasserstoff und Batterien als Zwischenspeicher, Gleichstrom in der Übertragung im Hochspannungsbereich (HGÜ) sowie im Niederspannungsbereich für elektrische Verbraucher (insbesondere E-Mobilität) sehe ich als Schlüsseltechnologien an.

Die Umsetzung wird allerdings erst gelingen, wenn wir stärker in der Vernetzung denken und handeln. Für das Unternehmen Lapp bedeutet dies, dass wir uns von der Verbindungstechnik in der Photovoltaik über Gleichstromniederspannungskabel bis hin zu Ladelösungen für Elektroautos engagieren. Letztlich muss vor allem die Politik weltweit diesen Prozess unterstützen.
Georg Stawowy ist Vorstand für Innovation und Technik bei der Lapp Holding AG.

Kurz nachgefragt

„Herzlich willkommen im One-Stop-Shop“

Timon Lütschen startete seine Laufbahn vor mehr als zehn Jahren bei Solartechnik Stiens und legte seinen Schwerpunkt neben dem Vertrieb auf Projektbetreuung vor Ort. Dass er von der E-Mobilität überzeugt ist, zeigt der von ihm 2016 gegründete Stammtisch Elektromobilität im Landkreis Unna. 2020 gründete er zusammen mit dem Solarfachinstallateur David Muggli aus Zülpich die Priogo Dortmund GmbH.

Foto: Priogo

Timon Lütschen startete seine Laufbahn vor mehr als zehn Jahren bei Solartechnik Stiens und legte seinen Schwerpunkt neben dem Vertrieb auf Projektbetreuung vor Ort. Dass er von der E-Mobilität überzeugt ist, zeigt der von ihm 2016 gegründete Stammtisch Elektromobilität im Landkreis Unna. 2020 gründete er zusammen mit dem Solarfachinstallateur David Muggli aus Zülpich die Priogo Dortmund GmbH.

Sie haben im August ein ganz neuartiges Geschäftsmodell gestartet, um das Solargeschäft und E-Mobilität enger zu verbinden. Wie genau sieht es aus?

Timon Lütschen: Wir haben im Autohaus Rüschkamp in Dortmund einen One-Stop-Shop eröffnet. Der Kunde erhält alles aus einer Hand. Er kommt ins Autohaus und interessiert sich für Elektroautos. Gleichzeitig stehen wir ihm als Ansprechpartner für seine Ladesäule, die dazu passende Photovoltaikanlage und den Speicher zur Verfügung.

Welche Vorteile bieten sich dem Kunden genau?

Der Kunde bekommt an einem Ort – mit einem Stop – alles, was er für sein Vorhaben benötigt. Wir bieten ihm die Leistungen des Elektrikers für den Ladepunkt, die des Solarteurs für die Photovoltaikanlage und den Stromspeicher. Er bekommt das Komplettpaket und die Produkte, optimal auf seine Bedürfnisse abgestimmt.

Wie kamen Sie auf die Idee, einen One-Stop-Shop im Autohaus zu eröffnen?

Der Initiator war Joan Hendrik Rüschkamp, ein Pionier in der Elektromobilität. Die Autohäuser müssen eine E-Auto-Quote erfüllen. Wir helfen ihnen, indem wir die Bedürfnisse der E-Auto-Kunden befriedigen. So erfüllen wir beispielsweise den Wunsch nach Nachhaltigkeit beim Laden mit Sonnenstrom und dem passenden Ladepunkt.

Wie ist die Geschäftsidee bislang angekommen?

Wir können den Kunden ihre Bedenken nehmen, dass es kompliziert ist, ein E-Auto zu kaufen. Der Strom findet nun ganz selbstverständlich seinen Weg von der Sonne in den Tank. Die Schnittstelle – das Autohaus – für Probefahrten musste sich erst einschleifen, aber das läuft nun. Wir konnten auch Bestandskunden von der Elektromobilität überzeugen. Die ersten Bestellungen liegen vor und werden in den kommenden Wochen ausgeliefert.

Sie sprachen von Bedenken. Wie machen sich diese bemerkbar?

Es gibt großes Interesse, aber ja, auch Bedenken, wie zum Beispiel über das Laden. Diese werden sofort ausgeräumt, wenn man den Kunden mit zur Probefahrt nimmt und selber fahren lässt. Die Punkte lassen sich anschaulich erklären, und jeder steigt mit einem Lächeln wieder aus. So unterstützen wir die Kunden bei allen Themen und beantworten ihre Fragen. Nicht nur zur Ladetechnik oder Reparaturen an den E-Fahrzeugen. Auch bei den Anträgen zur Förderung sind wir da und stehen den Kunden unterstützend zur Seite.

Das Gespräch führte Alexander Rensinghof.

Meine Vision: Steffen Lindemann von Valentin Software

Foto: Valentin Software

Solarenergie wird zum Mainstream

Meine Vision ist es, in einer Welt zu leben, die ihren Energiebedarf zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen deckt. Und was mich weiterhin wirklich antreibt: Die Erfahrungen und Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit zeigen mir, dass diese Vision keine Utopie mehr ist, sondern vielmehr tatsächlich Realität zu werden scheint.

Also ist das gar nicht so visionär! Solarenergie wird nach und nach im positiven Sinne zum Mainstream. Es gibt immer weniger Leute, die die Solarenergie als Spinnerei abtun. Es werden immer mehr Anlagen gebaut, die zu derart niedrigen Preisen Energie liefern können, die noch vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen sind. Und es gibt immer mehr vielversprechende Konzepte, die Energie zu speichern.

Noch ein weiter Weg

Wir erleben, wie diese Vision Realität wird, auch wenn noch ein weiter Weg zu gehen ist. Was ich ermutigend finde, ist der Gedanke, dass wir für eine 100-Prozent-Versorgung nicht auf die Erfindung von neuen Technologien angewiesen sind, sondern mit dem, was wir heute wissen und kennen, bereits dazu in der Lage sind. Mein Gedanke lautet: Wir müssen nur das tun, was wir können. Und es ist doch schön, dass wir dazu gar nicht so sehr Visionäre sein müssen, sondern eher Ingenieure und Realisten.
Steffen Lindemann ist Geschäftsführer von Valentin Software in Berlin.

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