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Innovation

Bidirektionaler Booster

Ein Autarkiegrad von 51 Prozent im Jahresdurchschnitt, wobei Winter, bewölkte Tage und Nächte schon eingerechnet sind. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die Versuchsanordnung: Eine Solarstromanlage mit acht Kilowatt Leistung und ein BMW i3 mit einem Akku, der über 42 Kilowattstunden Kapazität verfügt. Der Clou: Beim bidirektionalen Laden fließt der Strom nicht nur in die Akkus eines E-Autos, sondern kann bei Bedarf wieder ins Haus oder Stromnetz geleitet werden. Um dieses Autarkielevel zu erreichen, wurden im Pilotprojekt Bi-Clever die Ladezeiten des E-Fahrzeugs intelligent gesteuert, sodass der Akku möglichst nur mit selbst erzeugtem Sonnenstrom geladen wird.

Ebenfalls untersucht wurde, wie sich ein zusätzlicher stationärer Batteriespeicher mit 7,7 Kilowattstunden Kapazität auswirkt. Ergebnis: Der Autarkiegrad der Pilotanwender ließ sich auf bis zu 59 Prozent erhöhen. Abhängig von individuellen Faktoren wie Verbrauch, Nutzungsverhalten oder Größe von Solaranlage und Speicher könnte der jeweilige Autarkiegrad sogar noch höher liegen. Zum Vergleich: Würde man im Falle der Pilothaushalte mit dem E-Auto auf alle Speichermöglichkeiten und optimiertes Laden verzichten, läge ihr Autarkiegrad durch die Erzeugung von Solarstrom bei rund einem Viertel.

Kurz vorm kommerziellen Durchbruch

Bidirektionales Laden wird in vielen Piloten erforscht. Unter anderem arbeiten auch Porsche und Transnet BW zusammen an einem Projekt. Intelligentes unidirektionales Laden läuft schon in vielen Anwendungen im kommerziellen Betrieb und wird sich weiter verbreiten. Mit klugen Ladestrategien lassen sich auch Probleme mit überlasteten Netzen lösen. Im Vergleich zu einem Haushalt ohne Photovoltaikanlage und Stromspeicher, der mit dem Strommix hierzulande beliefert wird, kann laut Eon ein vergleichbarer Haushalt mit Solaranlage durch die Nutzung von bidirektionalem Laden auch ohne Heimspeicher bis zu einer Tonne Kohlendioxid pro Jahr einsparen.

Das energetische und finanzielle Optimum für die jeweiligen Kunden wird von einem Algorithmus automatisch herausgearbeitet und dann von der Steuereinheit, dem EMS, umgesetzt. Somit erfolgen die Lade- und Entladevorgänge komplett automatisiert. Der Anwender kann via App Vorgaben festlegen. Darunter den gewünschten Ladezustand des Fahrzeugs zu einer bestimmten Uhrzeit, einen immer geltenden Mindestladezustand oder rein solares Laden.

Wetterprognosen einbauen

Das Pilotprojekt geht nun schon in die nächste Phase: „Zur weiteren Optimierung der Ladetechnologie erproben wir zusätzliche technische Möglichkeiten: Dazu gehören fortlaufende Verbesserungen des Algorithmus – beispielsweise durch Wettervorhersagen oder durch die Analyse des individuellen Nutzungs- und Mobilitätsverhaltens der Hausbewohner“, erklärt Eon-Manager Mark Ritzmann.

Weitere Anwendungsfälle, die neben der Autarkiegraderhöhung im Rahmen des Pilotprojekts bereits getestet werden, reichen von zeitvariablen Stromtarifen bis hin zum Handel mit Strom an der Börse. Perspektivisch könnten die Speicher von E-Autos zudem als eine digitale Schwarmbatterie fungieren, die mit ihrer bereitgestellten Flexibilität und intelligenter Vernetzung das Verteilnetz entlasten kann.

Aktuell ist die Hardware für bidirektionales Laden allerdings noch nicht für Endkunden erhältlich, denn die Projekte befinden sich noch in einer Pilotphase. Für das bidirektionale Laden in Kombination mit einer Solaranlage braucht es zudem ein Energiemanagementsystem (EMS), das die Komponenten und den Ladezustand des Speichers sowie den Verbrauch im Haushalt kennt und aufeinander abgestimmt steuert.

Das EMS besteht aus Software und einer steuerbaren Hardware. Als wissenschaftlicher Partner von Eon begleitet ein Team der EBZ Business School das Bi-Clever-Projekt und bewertet die Daten mit einem digitalen Zwilling. Außerdem sind der Verteilnetzbetreiber Bayernwerk und der Autobauer BMW beteiligt.

Hoher Stand-by-Verbrauch über Nacht

E-Autos verfügen über deutlich größere Batterien, die ein normales Haus mühelos über Nacht versorgen können. Aufgrund der geringen Zyklentiefe von wenigen Kilowattstunden Verbrauch in der Nacht gegenüber Puffern mit mehr als 50 Kilowattstunden sei eher nicht mit einer vorzeitigen Alterung zu rechnen, erklärt Christopher Hecht von der RWTH Aachen. Er beschäftigt sich mit der Netzintegration von Batterien und Speichersystemen.

Herausfordernd seien jedoch die niedrige Effizienz und Garantiebedingungen: „Fahrzeuge haben heute noch einen relativ hohen Stand-by-Verbrauch. Insbesondere die Leistungselektronik in älteren Fahrzeuge arbeitet bei typischen Nachtverbräuchen von wenigen Hundert Watt sehr ineffizient“, berichtet Hecht. Neue Fahrzeuggenerationen könnten da Abhilfe schaffen, wenn die Leistungselektronik optimiert werde.

Denkbar sei auch die Abschaltung der Batterietemperierung und eines großen Teils der Kommunikationsbauteile im Fahrzeug. Auch die Fahrzeughersteller limitieren derzeit noch die maximalen Betriebsstunden ihrer Fahrzeuge im bidirektionalen Betrieb. „Das hat vermutlich mit einer begrenzten Lebensdauer der Leistungselektronik und Logikchips zu tun“, meint Hecht. Üblicherweise werden hier 8.000 Stunden Lebensdauer angesetzt und die werden schnell erreicht, wenn man bidirektional lädt.

Heimspeicher können jedoch in verschiedenen Rollen unterstützen, bestätigt der Wissenschaftler: „Sie können mit ihrer vergleichsweise hohen Effizienz und den langen Lebensdauern die Nachtstunden abdecken, was bei den Fahrzeugen aktuell technisch noch schwierig ist.“ Die Heimspeicher könnten auch den eigenen Solarstrom zwischenpuffern, wenn das Fahrzeug tagsüber nicht vor Ort ist. Allerdings entstehen bei der Umladung doppelte Effizienzverluste.

Für das Pilotprojekt werden umgerüstete BMW i3 verwendet.

Foto: Eon

Für das Pilotprojekt werden umgerüstete BMW i3 verwendet.

Wo es noch besonders hakt

So viel technisch gerade passiert, hakt es auf der regulatorischen Seite hierzulande, weiß Hecht zu berichten. In Deutschland warten die meisten Haushalte immer noch auf einen Smart Meter. Ohne die Geräte kann ein dynamisches und intelligentes Ladeschema jedoch nicht ausgerollt werden.

Immerhin wurde nun das beschleunigte Smart-Meter-Rollout-Gesetz von der Bundesregierung verabschiedet – und auch den Bundesrat hat das Gesetz schon passiert. „Das Energiewirtschaftsgesetz Paragraf 3 Absatz 15d definiert Energiespeicheranlagen nach unserem Verständnis so, dass Elektrofahrzeuge nicht eingeschlossen sind“, erklärt Hecht. Dadurch entfällt aber gerade nicht die Doppelbesteuerung, da Fahrzeuge bei Strombezug als Verbraucher und bei Strombereitstellung als Erzeuger zählen.

Und dann gibt es auch noch das deutsche Eichrecht. Hecht: „Es stellt hohe Anforderungen an die Systeme, die gerade am Anfang bei der Markteinführung nur schwer zu erfüllen sind.“ Die Technologie des bidirektionalen Ladens wird es trotzdem nicht aufhalten können.

Mit einer Solaranlage und einem E-Auto mit 42-Kilowattstunden-Akku sind bis zu 51 Prozent Autarkiegrad im Jahresdurchschnitt möglich.

Foto: Eon

Mit einer Solaranlage und einem E-Auto mit 42-Kilowattstunden-Akku sind bis zu 51 Prozent Autarkiegrad im Jahresdurchschnitt möglich.

Bundesverband Neue Energiewirtschaft

Potenzial von rollenden Speichern freisetzen

Durch das bidirektionale Laden von E-Autos kann der zwischengespeicherte Strom flexibel ins Gebäude oder ins Netz zurückfließen. Die von der Bundesregierung zum Ziel erklärten 15 Millionen vollelektrischen Fahrzeuge bis 2030 besitzen mit 750 Gigawattstunden die rund 20-fache Speicherkapazität aller deutschen Pumpspeicherkraftwerke. Durch das heute schon mögliche punktgenaue Laden von Überschüssen wird dieses Potenzial nutzbar. Bidirektionales Laden ermöglicht den Energieaustausch in zwei Richtungen, in die Batterie, aber auch wieder zurück.

Bidirektionales Laden ist bereits technisch umsetzbar. „Jetzt muss der gesetzliche Rahmen praxistauglich werden“, fordert Robert Busch, Geschäftsführer des Bundesverbands Neue Energiewirtschaft (BNE). So mangelt es an gesetzgeberischen Vorgaben für den Informationsaustausch zwischen den beteiligten Marktakteuren, für die Bilanzierung oder zur marktlichen Nutzung von Flexibilität. Der Branchenverband BNE hat dazu konkrete Lösungsvorschläge in einem neuen Positionspapier erarbeitet.

Obwohl die Zahl der Fahrzeuge, die diese Technik beherrschen, schnell zunehmen wird, erschwert der aktuelle gesetzliche Rahmen die Umsetzung von bidirektionalem Laden. „Vor allem die Doppelbelastung mobiler Speicher durch Abgaben, Umlagen und Steuern verhindert den wirtschaftlichen Einsatz der Technologie”, erklärt BNE-Chef Busch. Für stationäre Speicher wurde diese Doppelbelastung bereits 2019 aufgehoben. Die fehlende Klarheit bei der Definition von mobilen Energiespeichern schafft zusätzlich Unsicherheit bei der Planung von bidirektionaler Ladeinfrastruktur.

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